Ich bringe die Leute lieber zum Weinen als zum Lachen

Es läutet an der Tür und vor mir steht eine Unbekannte. Sara Jiménez. Eine Frau, die nichts mit der Person zu tun hat, die ich vor ein paar Tagen auf der Bühne der Museos de la Atalaya gesehen hatte. Sie lächelt. Sie weiß es. Sie kennt diesen Ausdruck der Überraschung auf dem Gesicht derer, die sie noch nie abseits der Bühne gesehen haben. Sie beginnt mit ihrer rauen Stimme zu erzählen. Von dieser Verwandlung in den silbernen Vogel. Der mit dem Tod beginnt. Es ist die Geschichte einer Liebe und des Verrats. Grausam, schmerzlich und doch voller Zärtlichkeit.

Es ist ein Totentanz und basiert auf der sinfonischen Dichtung Danse Macabre des französischen Komponisten Camille Saint-Saens. Der Text stammte vom Schriftsteller Henri Cazalis und handelt von zwei Liebenden, die aufgrund der verschiedenen Gesellschaftsschichten ihre Liebe nicht öffentlich zeigen dürfen.

Es geht aber auch um die Jagd. Um einen Vogel, der getötet wird und der in einem Film eine Rolle spielt.

Wo liegt der Ursprung für Ave de Plata, deine neueste Kreation, die in Jerez mit so großer Begeisterung aufgenommen wurde?

Ave de Plata ist in verschiedenen Residenzen über ein ganzes Jahr entstanden. Am Anfang wussten wir nicht genau, wo es hingeht, aber nach und nach entstanden die Bilder und die Geschichte. Erst als es fertig war wurde mir der Bezug zum Film Los Santos Inocentes von Mario Camus klar. Die Verwandlung in den Vogel hatte ich schon vorher im Kopf, aber was ich von diesem Vogel wollte, wusste ich noch nicht.

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Erst während der ersten künstlerischen Residenz mit Miguel Marín Árbol, dem Komponisten und musikalischen Leiter meines Stücks erkannte ich, was die Basis war, oder die Geschichte:

Es ist die eines Vogels, der einem Menschen sein Vertrauen schenkt, der aber verrät ihn und tötet ihn schließlich. Hier kommt auch die Danse macabre ins Spiel, denn in diesem Moment entdecke ich, dass der Verrat des Jägers an dem Vogel, der ihm sein Vertrauen geschenkt hat, dazu führt, dass dieser Vogel stirbt und als der Tod des Jägers wiedergeboren wird.

Ave de plata beginnt für mich in dem Moment, da der Vogel wiedergeboren wird und wie die Geschichte erzählt, erscheint der Tod und es folgen all diese Szenen, in denen ich den Jäger töte.

Aber es geht hier auch um die Liebe, oder?

Ja, denn auch wenn dieser Vogel als Tod dargestellt wird, gibt es eine Vergangenheit. Eine Vergangenheit, in der es eine Beziehung der Liebe und eine Beziehung des Vertrauens gab, es gab eine Beziehung davor, und auch wenn dieser Vogel als Tod wiedergeboren wird, gibt es immer noch alles, was vorher da war, deshalb gibt es diesen Pas de Deux mit der Schaufensterpuppe.

Für mich ist das der Moment, in dem der Vogel seine Zuneigung, seine Liebe und seine Trauer über das, was passiert ist, zeigt.

Die Puppe trägt einen Mantel als Symbol des Männlichen …

Es ist der Mantel des Jägers, aber wir wollten ihm ästhetisch nicht nur das Bild eines Jägers geben, sondern er sollte für den Zuschauer eine universelle Figur sein, nicht nur ein Jäger, sondern jede Figur, aber wir wollten schon, dass es eine männliche Figur ist.

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Hast Du das Gefühl, dass das Publikum verstanden hat, worum es geht?

Schon. Und ich möchte ja auch, dass das Publikum etwas versteht. Dem Lauf der Handlung folgt, denn ich erzähle dort meine Geschichte. Aber dann deutet jeder sie auf seine Weise. Jeder macht seine eigene Geschichte daraus. Und das finde ich interessant.

Was deine Tanzsprache angeht, hast du Einflüsse aus dem zeitgenössischen Tanz, und zwar eine ganze Menge.

Das kommt von meiner künstlerischen Laufbahn, von den Leuten, mit denen ich gearbeitet habe, ich tanzte 11 Jahre in der Kompanie von Rafael Estévez und Valeriano Paños, sie waren meine Lehrer und haben mich sehr beeinflusst, es kommt aber auch von meiner eigenen Unruhe, von meiner Suche, von meinen Ursprüngen, die im Flamenco und in der Danza española liegen.

Es war keine bewusste Entscheidung, dass ich sage, ich will zeitgenössischen Tanz machen, mein Körper bewegt sich und was er von mir verlangt, ist, sich auszudrücken. Durch den Tanz versuche ich, mich verständlich zu machen und zu erzählen.

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Tanzt du gerne allein?

Nicht unbedingt, aber in diesen Stück musste ich alleine sein.

Du hast dich schon zum zweiten mal in die Hände von Juan Kruz Díaz de Garaio Esnaola begeben. Warum?

Ja, aber diesmal, aber diesmal sind wir Co-Regisseure. Ich bringe natürlich eine Basis mit, aber sie wird durch ihn bereichert. Wir haben viel gemeinsam in der Art zu komponieren und zu erzählen.

Der Flamenco ist für dich kein Gefängnis, nicht wahr?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe keine Tabus, ich bin frei. Ich habe nichts, was mich in eine Schublade steckt, im Gegenteil, ich benutze den Flamenco je nach meinen Bedürfnissen. Ich habe das Gefühl, dass ich keinem Muster folge. Oder Regeln. Natürlich gibt es Menschen, die mit meiner Kunst besser zurechtkommen und andere, die das nicht tun, aber das ist normal.

In Verbindung mit meinem Tanz und meinen Kreationen versuche ich, die Weisheit des Flamenco in Bezug auf den Gesang umzusetzen, wie Musik mit Gesang komponiert wird, selbst wenn man elektronische Musik hinzufügt, versuche ich sicherzustellen, dass sie in einer kohärenten Weise vorhanden ist. Ich versuche sicherzustellen, dass sie nicht einfach nur um ihrer selbst willen eingesetzt wird. Ich versuche, sie so zu lenken, dass sie gültig ist.

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Der Flamenco befindet sich in einem guten Moment, weil es den Künstlern immer mehr gelingt, sich von Stigmata und Unterdrückung zu befreien. Die Puristen haben immer versucht, diesen Prozess zu verlangsamen und zu stoppen, aber diese Leute öffnen Horizonte, und es gibt nicht mehr diese Angst.

Es ist ein guter Moment für den Tanz, aber auch für die Musik, es ist wie eine große Erweiterung. Und das ist hilfreich.

Gibt es Tänzer*innen, die dich inspiriert haben?

In der Vergangenheit und in der Gegenwart. Es ist schwierig für mich, Referenzen zu nennen, aber ich merke immer mehr, dass ich Angst vor dem Kopieren habe, und sobald ich sehe, dass mich etwas direkt zu etwas führt, das ich schon gesehen habe, oder zu einer Bewegung, die nicht zu mir gehört, aber sich widerspiegelt, flüchte ich. Und ich versuche, es zu modifizieren.

Das ist etwas, das ich in mir trage, weil wir natürlich alle voller Referenzen sind.

Plötzlich tanze und kreiere ich, und viele Menschen gehen mir durch den Kopf, Vorbilder, Kollegen, vergangene und gegenwärtige, und ich versuche, sie in meinen Körper zu bekommen, indem ich ich bin.

Inspiration ist sehr schön und notwendig, aber ich achte sehr darauf, dass es sich nicht um eine Reproduktion handelt.

Zwei dieser Referenzen sind sicher Rafael Estévez und Nani Paños …

Ja natürlich und sie sind auch die ersten, die das Stück gesehen haben.

Es war ein sehr intimer Prozess zwischen Juan und mir. Und plötzlich öffneten wir das Studio und luden Estevez und Paños ein, und sie im Studio sitzen zu haben, hat mich fast erdrückt, ich bin ja seit vielen Jahren mit ihnen zusammen und vertraue ihnen, aber es ist mir sehr wichtig, wie sie mich jetzt sehen. Das Stück bin ich, es gibt keine Ablenkung, ich muss es tragen, natürlich mit den Menschen, die dahinter stehen, aber ich trage die Hauptverantwortung.

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Hat es ihnen denn gefallen?

Sehr. Nani umarmte mich und sagte zu mir: Sara, das ist schwierig, aber mach weiter so.

Das tut gut, aber der Zweifel ist immer da. Und sieh mal, ich könnte eine Bata de Cola anziehen, weil ich auch weiß, wie man mit ihr tanzt, im November habe ich in Madrid ein Stück uraufgeführt, es heißt Musa mía und ist ein Blick auf meinen Tanz, nur hat es keine dramatische Aufladung, es hat keinen roten Faden, es ist eine Abfolge von Choreographien von mir, im Laufe meiner Karriere habe ich diese Stücke geschaffen und es ist ein eher traditionelles Konzept, aber wenn ich mich mit einer neuen Kreation beschäftige, bin ich von der Tragödie fasziniert.

Erst neulich habe ich Ihnen gesagt, dass ich die Leute lieber zum Weinen als zum Lachen bringe.

Das ist es, was ich mag.

Fotos: Tamara Pastora

Text: Susanne Zellinger

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