Paula Comitre (Sevilla, 1994) ist eine der herausragenden jungen Tänzerinnen des heutigen Flamenco. Sie wurde sowohl bei der Bienal de Sevilla als auch beim Festival de Jerez 2019 mit dem Preis für die interessanteste Neuentdeckung ausgezeichnet und erfüllt alle Anforderungen, die eine Tänzerin heutzutage auszeichnen: eine lupenreine Technik, eine reiche Bewegungssprache, das Respektieren der traditionellen Codes ohne sich aktuellen Strömungen zu verweigern, eine bemerkenswerte Bühnenpräsenz und ein strahlendes Charisma, das ihre Persönlichkeit hervorhebt.

Sie tanzte drei Jahre lang im Ballet Flamenco de Andalucía, als Mitglied der Kompanie von Rafaela Carrasco in ‚Nacida Sombra’, mit David Coria in seinem preisgekrönten Stück ‚¡Fandango! und präsentierte letztes Jahr mit großem Erfolg ihr erstes eigenes Stück ‚Camara abierta’ beim Festival de Jerez. Mercedes de Córdoba, David Coria und Rafaela Carrasco zählen zu ihrer Förderern und unterstützten sie auch hier, sowohl konzeptuell als auch choreografisch.

Beim diesjährigen Festival im tanzhaus nrw wird Paula Comitre an zwei Abenden, am 28./29. Oktober in dem zeitgenössischen Stück ‚ELECTROFLAMENCO 3.0’ von Artomático mit Juan M. Jiménez auftreten.

Paula, du bist aus Sevilla und kommst nicht aus einer Flamenco Familie, stimmt das?

Ja, mein Vater war immer ein großer Aficionado und meine Mutter tanzte regionale Tänze wie die Jota, ihr Vater stammt aus Burgos. Sie beide lieben die Musik und die Kunst im allgemeinen. Aber sie haben den Flamenco nie als Beruf für mich gesehen. Aber schon als ich klein war, habe ich immer getanzt statt mit Puppen zu spielen. Und wie das hier in Andalusien so üblich ist haben sie mich für den Sevillanas Unterricht angemeldet, obwohl die Lehrerin meinte, ich sei noch viel zu klein. Aber meine Mutter konnte sie überzeugen und so fing ich an und ich liebte es. Später ging ich dann ans Konservatorium und dann verfolgte ich diesen Weg einfach weiter.

War der Flamenco immer deine erste Option?

Eigentlich schon. Im Konservatorium konnten wir wählen zwischen Ballett, Danza Española und Flamenco, aber für mich war es von Anfang an klar, dass ich Flamenco tanzen wollte.

Aber im Konservatorium wurdest du auch in anderen Disziplinen ausgebildet, oder?

Ja, natürlich, vor allem in den ersten Jahren, spezialisiert habe ich mich dann erst später.

Würdest du deinen Tanz als sehr modern definieren?

Im Moment fällt mir eine Definition etwas schwer, weil ich mich in einem Moment der Veränderung befinde. Gerade in der letzten Zeit habe ich viel erlebt und verschiedenste Dinge ausprobiert, ich mag die Einflüsse des zeitgenössischen Tanzes und auch die Avantgarde fasziniert mich sehr, aber wie gesagt, es ist eine Zeit der Veränderung und ich forsche, suche nach Neuem und bilde mich weiter.

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Einen klare Inspiration für dich ist bestimmt Pina Bausch, zum Beispiel wie sie die Haare der Frauen als dramaturgisches Element einsetzt.

Ja, Haare sind ein sehr weibliches und identitätsstiftendes Element, und ich verwende sie auch in meinem neuen Stück, das sozusagen eine Reflexion über den weiblichen Tanz ist. Wir Frauen waren ja immer gezwungen uns die Haare streng zurück zu binden, das fühlte sich an wie ein Korsett und wenn du die Haare offen hast gibt dir das ein Gefühl der Freiheit. In so einem Stück durchläufst du ja auch verschiedenste Gefühlszustände und da hilft mir das mit dem Haar sehr.

Mit dem Stück ELECTROFLAMENCO 3.0, das Ende Oktober im tanzhaus nrw während des Flamencofestivals zu sehen sein wird, hast du dich ja in vollkommen neue Gefilde begeben

Absolut. Als Daniel Muñoz Pantiga mich anrief, war ich zwar neugierig, aber ich hatte noch nie mit elektronischer Musik gearbeitet und mit Saxophon, das war also wirklich ein Experiment. Aber Daniel überzeugte mich und es war ein großartiges Erlebnis.

Es gibt viel Platz für Improvisation, aber innerhalb genau abgesteckter Grenzen. Wir kennen die Nummern, es gibt verschiedene Vorgaben, aber für mich war es eine Herausforderung. In meinen anderen Stücken ist alles viel genauer geplant und geprobt, aber hier war ich plötzlich eine Stunde ununterbrochen auf der Bühne mit viel Möglichkeit zur Improvisation und ich habe natürlich sehr viel dabei gelernt. Das Schöne daran ist, dass alles nur einmal passiert, diese Vergänglichkeit des Moments, weil das Resultat jedes mal ein anderes ist. Du lernst, andere Dinge in den Vordergrund zu stellen und andere Gefühle zuzulassen.

Hast du den Gesang nicht vermisst?

Na ja, das war schon eine Herausforderung, ich tanze ja sehr zum Cante, er bringt mich in die jeweilige Stimmung und verschafft mir die manchmal nötige Gänsehaut, aber Juan Jiménez ist ein hervorragender Musiker, der sich auch an den Melodien der großen Sänger orientiert und außerdem sind ja da noch die Stimmen von Camarón de la Isla und La Piriñaca, die aus dem Off eingespielt werden, die sind auch sehr wichtig.

Ein besonders schöner Moment ist das Duett mit Juan, ein Dialog, wie er sonst mit dem Cante passiert.

Ja, das ist der Tarantos von Camarón, und da folge ich einfach seiner Melodie.

Ihr seid ja nur zu dritt, ein Format, das immer mehr in Mode kommt, begonnen hat Israel Galván mit seiner ‚La Edad de Oro’.

Ich liebe dieses Format, wir sind da nur die elektronische Musik, das Sax oder die Klarinette und mein Tanz, wir sind nur zu dritt, aber es fehlt nichts, es ist so ausgeglichen, sehr harmonisch und man hat sehr viele Möglichkeiten.

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In deinem ersten Solostück ‚Camara abierta’, das du in Jerez präsentiert hast und in dem es um den weiblichen Tanz geht, wirst du nur von Männern begleitet, drei Sänger, ein Perkussionist und ein Gitarrist, ist das nicht ein Widerspruch?

Das stimmt und ich gebe dir recht, aber es hatte einen anderen Grund: diese Musiker begleiten mich schon sehr lange und sie gaben mir Sicherheit, was in diesem Moment für mich sehr wichtig war. ich vertraue ihnen blind, mit Miguel Ortega und Antonio Campos war ich im Ballet Andaluz, Juan Campallo und Jesús Corbacho kenne ich schon sehr lange. Dass sie alle Männer sind, ist Zufall, ich brauchte einfach Menschen um mich, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Und da war nicht nur das professionelle von Bedeutung sondern auch diese Energie und die Zuneigung, die uns verbindet.

Ich bin sehr glücklich über das Ergebnis, die Premiere in Jerez war ein Erfolg und gerade haben wir es in Sevilla im Teatro Central gezeigt. Es ist ein sehr lebendiges Stück, das sich mit uns verändert. Wichtig waren natürlich auch Mercedes de Córdoba und David Coria, die mich bei der szenischen Umsetzung unterstützt haben. Ich bewundere sie sehr und auch sie kennen mich sehr gut. Ich wollte, dass diese vertrauten Menschen mich bei meinem ersten Solostück begleiten.

Du bist ein sehr fröhlicher, aber auch ein sehr sensibler Mensch, wie würdest du dich selbst beschreiben?

Ich versuche, ausgeglichen zu sein, ich bin Waage im Sternzeichen, ich suche immer das Gleichgewicht. Ich versuche immer alles zu geben, ich mag keine Konflikte, ich brauche die Harmonie.

Freust du dich schon auf Düsseldorf?

Sehr. Auf die Vorstellung, aber auch auf den Kurs, den ich gemeinsam mit Daniel geben werde und den wir dann auch vor Publikum zeigen werden. Es wird ein Workshop für TänzerInnen und MusikerInnen sein, in dem wir zeigen, wie so ein Stück entsteht und welche Richtlinien und Regeln es dafür gibt, damit es funktioniert. Außerdem gebe ich noch einen Workshop für die Technik des Mantón.

Na dann bis bald

Bis bald.

Text: Susanne Zellinger

Fotos: Daniel M. Pantiga

Flamenc Festival Düsseldorf, tanzhaus nrw, 28.10.-01.11.2021

www.tanzhaus-nrw.de