Am 30. Oktober fand im Rahmen der Tanztage im Linzer Posthof die Österreichpremiere des neuen Stücks von Ana Morales statt. „En la cuerda floja“ – „Auf dem Hochseil“, „Auf einem schmalen Grat“, egal wie man es übersetzt, weiß man jedoch immer, was es bedeutet. Es geht um das Gleichgewicht, das Schwanken und sich wieder sammeln, das Versuchen und das Scheitern, los zu lassen und im letzten Moment nach dem rettenden Seil zu greifen, das Unterbewusste mit der Vernunft im Zaum zu halten, um Einsamkeit und Gemeinsames, um Schönheit und Klarheit, um Stabilität und Schwindel, um Tanz und Musik und um das Überwinden der lähmenden Stille.

Entstanden in den Zeiten der Pandemie ist „En la cuerda floja“ das alles und noch viel mehr.

Es ist der gelungene Versuch sich von den Fesseln der von der Zeit, der Gesellschaft und den starren Grenzen von festgefahrenen Regeln zu befreien. Zu suchen und vielleicht nicht zu finden und dennoch nicht das Gefühl haben versagt zu haben.

Ana Morales nimmt sich die Freiheit zu tanzen, wie sie will, oder wie der Moment es verlangt. Das ist zeitgenössischer Tanz auf allerhöchstem Niveau. Sie ist alleine auf der Bühne, die Musiker sitzen in einem silbernen Käfig, der sich erst gegen Ende in einem bezaubernden Moment öffnet, eine Hand streckt sich durch die glänzenden Ketten und findet eine andere, ein Moment der Zärtlichkeit und der Nähe, der die Einsamkeit überwindet. Ein Augenblick der ewigen Liebe, auch wenn sie nur einen Moment dauert.

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„En la cuerda floja“ erzählt keine Geschichte und gleichzeitig das ganze Leben in diesen für die Kunst so schwierigen Zeiten. Die drei Musiker, Paquito González an der Perkussion, Pablo Martín am Kontrabass und José Quevedo ‚Bolita’ an der Gitarre bewegen sich mühelos zwischen Jazz und Flamenco und bieten ein Konzert, das auch für sich alleine bestehen könnte. Dennoch ist die Verbindung zur Tänzerin immer da, sie wird in keinem Moment allein gelassen, durch die Ritzen des silbernen Vorhangs hindurch begleiten sie sie in jeder Sekunde.

Nach einer faszinierenden Fahrt durch alle Höhen und Tiefen zieht sich Ana Morales dann auf ein Podest im Hintergrund der Bühne zurück mit einer außergewöhnlichen Soleá, die im Gedächtnis bleibt, eine rote Flamme, die den Weg in eine bessere Zukunft weist.

www.posthof.at

Text: Susanne Zellinger

Titelfoto: groxpressimages.at

Probenfoto: Susanne Zellinger