José Ángel Carmona ist einer der gefragtesten Cantaores der heutigen Zeit, als Begleitsänger von Rocío Molina, Patricia Guerrero oder Olga Pericet wird er im In-und Ausland gefeiert. Er errang zahlreiche Preise, unter anderem auch den „Giraldillo del Cante por atrás“ für „Rosa, Metal y Ceniza“ bei der Bienal von Sevilla.
Geboren 1977 in Los Palacios y Villafranca, einer kleinen Stadt in der Nähe von Sevilla begann er schon als Kind Gitarre zu spielen, unterrichtet von seinem Großonkel Manolo Carmona, einem bekannten Gitarristen. Sehr bald war jedoch klar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters, des Cantaors „Juanito El Distinguido“ treten sollte.
Mit 16 Jahren gründete er die Gruppe „Ropa Camilla“, bekannt in Radio und Fernsehen, mit der er auch seine erste CD „Tiempo de Sueños“ aufnahm. Nach der Auflösung der Band startet er seine Solokarriere, und studiert nebenbei E-Bass und Mandola. Die Mandola ist eine 8 saitige große Mandoline, die selten gehört wird und im Flamenco noch ungewöhnlicher ist. Die Saiten werden entweder gezupft oder mit dem Plektrum angeschlagen, José Ángel spielt sie meisterhaft wobei er sich auch oft selbst begleitet.
Er ist auch ein hervorragender Komponist und hat für viele seiner Kollegen Stücke geschrieben. Einer seiner größten Hits ist der Tangos „Verde Limón“ seiner zweiten Solo CD, der auch auf verschiedensten SammelCDs zu hören ist. Gerade hat er seine neueste Arbeit vorgestellt, „Por los Rincones“, die begeistert aufgenommen wurde.
Ich traf ihn beim eim diesjährigen Festival in Düsseldorf, wo er Rocío Molina in ihrem Stück „Danzaora y Vinática“ begleitete und großen Beifall erntete. Er hat nicht nur eine starke Stimme, er zeigt auch Persönlichkeit und Bühnenpräsenz und steht mit José Valencia und David Lagos in der ersten Reihe der jungen Cantaores.
Du kommst aus einer Flamencofamilie, erzähl uns ein wenig davon

Ich komme aus Los Palacios in der Nähe von Sevilla und mein Vater ist Cantaor, Juanito Distinguido und sein Onkel ist Gitarrist, er begleitete viele der großen Sänger seiner Zeit wie Marchena oder Oliver de Triana, auch mein Vater war viel in Triana unterwegs und als Kind habe ich ihm natürlich oft zugehört. Ich begann dann sehr früh Gitarre zu spielen aber sehr bald wurde mir klar, dass mich der Cante am meisten fasziniert und ich begann ihn zu studieren. Ich begann in den Peñas aufzutreten und wurde so nach und nach von immer mehr Tänzern gerufen um sie zu begleiten.

Als Begleitsänger bist du ja sehr begehrt

Das ist richtig, aber ich halte mich deswegen nicht für besser als andere, aber es stimmt, in letzter Zeit bin ich viel unterwegs mit Rocío Molina, Olga Pericet oder Patricia Guerrero. Aber es gibt für jeden Sänger eine Zeit, in der er gerade gefragt ist und im Moment bin das eben ich.

Es gibt ja großartige Sänger im Moment, die im Cante de atrás ihre Möglichkeiten sehen

Oh ja, aber das hat auch mit den schwierigen Zeiten heutzutage zu tun. Natürlich ist es für viele das Ziel, vorne zu singen, aber es ist doch so, mit einer Tänzerin hast du oft mehrere Auftritte am Stück, als Solosänger oft nur einen im Monat und darum sind wir glücklich überhaupt so oft auf der Bühne zu stehen. Und es ist auch eine Möglichkeit, sich bekannt zu machen.

Stimmt, bei deinem Auftritt in Jerez mit Patricia Guerrero sprach man viel über deinen Gesang.

Ja, denn da singe ich sehr oft alleine, da ist Bruno Axel an der Geige, Paco Iglesias an der Gitarre, und ich singe viel und ohne Begleitung. Manchmal bin ich ganz alleine auf der Bühne, Patricia gibt mir sehr viel Raum und das ist wichtig für einen Sänger, da hat er dann die Aufmerksamkeit nur für sich.

Du spielst auch sehr gut Gitarre oder wie in Jerez diese große Mandoline.

Das ist eine „Mandola“, ich habe sie mir vor 10 Jahren gekauft, nach einem Nachmittag im Haus von Diego Amador. Er spielte sie und ihr Klang gefiel mir so gut, dass ich auch eine haben wollte. Inzwischen baue ich sie in viele Stücke ein.

Mir ist noch eine sehr schöne Taranta in Erinnerung, da singst du und begleitest dich selbst auf der Mandola.

Das ist die Taranta von José Cepero und Rocío Molina gefiel sie so gut, dass sie sie auch haben wollte.

Du lebst immer noch in deinem Heimatort Los Palacios. Wie sieht es denn da mit dem Flamencoambiente aus?

Der Flamenco hat in Los Palacios eine lange Tradition, da gab es Häuser in denen immer irgendein Flamenco zu Gast war, wie El Lebrijano, Antonio Mairena oder Manuel Herrera, der frühere Direktor der Bienal in Sevilla, da war auch mein Vater oft dabei und heute ist es eben die nächste Generation. Regelmäßig kommen meine Freunde wie Miguel Ortega und das Ambiente machen wir Künstler selbst und die Aficionados, die hier leben,aber wenn es ein Ambiente gab, geht es nicht so schnell verloren.
Wir gehen gemeinsam etwas trinken, manchmal kommt auch José Valencia vorbei und dann unterhalten wir uns, nicht immer über Flamenco aber doch sehr oft. Wir reden über den Cante „Wie hat El Muela das noch mal gesungen? Das ging doch so, oder?“ und dann singen wir uns halblaut die eine oder andere Strophe vor, ich rede gerne über Flamenco, über die verschiedenen Stile und wir versuchen uns an Cantes zu erinnern und wie sie früher gesungen wurden.

Also hat sich nicht viel geändert?

Für mich nicht, Gott sei Dank, denn das ist wichtig für uns.

Woher nimmst du deine Texte?

Das ist ganz verschieden, im Moment beschäftige ich mich viel mit den Gedichten von Joaquín Romero Murube, ein Dichter aus Los Palacios, der zur 27er Generation gehörte. Ich habe viele Texte von ihm und ich adaptiere sie an meine Kompositionen. Auch auf meiner neuen CD werden einige seiner Texte sein, eine kleine Hommage, damit er nicht in Vergessenheit gerät.
Bei meinen Auftritten kommt es aber einfach darauf an, ob es traditionell sein soll, dann greife ich auf alte Letras von Mairena oder Caracol zurück, aber manchmal singe ich auch meine eigenen Texte oder die meiner Freunde.

Und wonach wählst du sie aus?

Eigentlich danach ob sie mich berühren oder nicht, es reicht mir nicht, dass mir der Stil oder die Form gefallen, in der sie gesungen werden. Das ist ja eine der Eigenheiten des Cante, dass du eine Seguiriya singen kannst mit drei völlig verschiedenen Strophen und jede von ihnen hat eine andere Botschaft, jeder Text ist eine Welt für sich.

Was hast du denn gerade so leise vor dich hin gesungen?
Das ist meine momentane Lieblingsstrophe, die hab ich vor ein paar Tagen bei meinem Vater gehört in der Osterwoche, die geht so:

De qué le sirve al Cautivo
Tener grilletes de plata y potencias de oro
Si la libertad le falta?

Ist das nicht wunderschön?