Tomás de Perrate ist ein ungewöhnlicher Mensch und ein außergewöhnlicher Sänger. Geboren 1964 in Utrera als Sohn von Perrate de Utrera und Enkel von Manuel Torres aus Jerez und eigentlich war sein Weg als Vertreter des Cante tradicional, puro oder was auch immer vorgezeichnet. Wäre auch schön gewesen, aber wir gesagt, er ist etwas ganz Besonderes. Nicht umsonst gehört er zu den bevorzugten Sängern von Israel Galván. Wer ihn einmal gehört hat vergisst ihn nie wieder. Einer der Höhepunkte seiner Karriere war die Soleá mit Antonio Moreno bei der letzten Bienal de Sevilla. Bei Flamenco on Fire begeisterte er das Publikum in FLA.CO.MEN und bei Flamenco en los Balcones. Antonio Jiménez Cuenca traf den Sänger in seiner Heimatstadt zum Interview.

Sie sind mit dem Cante aufgewachsen, oder?

Soweit ich mich erinnern kann, war der Flamenco bei mir zuhause immer präsent, weil viele Künstler und Journalisten meinen Vater besuchten, Amerikaner, Japaner usw. Dennoch habe ich ihn nicht so wie viele andere Gitanos in jeder Zeit mit der Muttermilch aufgesogen. Mein Vater war Invalide und wir hatten nicht viele Möglichkeiten, als Kind, meine ich. Wir gingen nicht zu den Fiestas, wie die anderen Gitanofamilien. Aber dennoch hörten wir natürlich immer Flamenco, wir spielten Gitarre und unser Vater trieb uns immer an, wir hörten Camarón, Turronero, Lebrijano und viele mehr. Und er leitete uns sozusagen, wir hörten Radio, Kassetten, schauten Videos, also unser Flamenco kam eher aus der Dose, als Live. Und mein Vater summte immer eine Seguiriya oder eine Soleá vor sich hin.

Sie tragen ja auch das Erbe der Torres in sich, durch Ihren Großvater mütterlicherseits, oder?

Ja, aber meinen Großvater kannte ich kaum. Nur durch meine Mutter, wenn ich den Erzählungen zuhöre, lese ich zwischen den Zeilen und sehe etwas von ihm in meiner Mutter, ihren Schwestern und von den Cousins. Aber das habe ich erst später begriffen. Und da war natürlich auch meine Familie aus Jerez, wir sind ja alle verwandt, die Soto, die Sordera …. . Ich begann erst zu singen, als ich die ganze Dimension des Flamencos erkannte. Manuel Torres verstand ich erst, als ich seine Cantes nachsang, diese gesanglichen Wendungen, die er machte, diese magischen Zwischentöne, die er sang.

Wirklich zu singen begonnen haben Sie ja erst nach einer Aufnahme für die „Navidades flamencas“

Ja, ich betrachtete mich ja eher als Aficionado, nicht als professioneller Sänger. Mein älterer Bruder schlug mir vor, bei dieser Aufnahme zu singen, und ich war am meisten überrascht, als ich es hörte. Ich versuchte, herauszufinden, ob das nur eine Momentaufnahme war oder etwas Dauerhaftes. Und erst dann begann ich öffentlich aufzutreten.

War es nicht der Journalist Miguel Acal, der Sie, wenn auch unerfahren, als einen Rohdiamanten bezeichnete?

Ja, das war gleich nach dieser ersten Aufnahme. Miguel Acal war für mich ein Gott. Damals gab es nicht viele Spezialisten, die ein eigenes Radioprogramm hatten. Paco Herrera, er und wenige andere berichteten damals von allen Festivals. Wir kamen um ein Uhr von der Schule nachhause und fünf Minuten später saßen wir schon vor dem Radio und hörten „Ser del Sur“. Miguel bestätigte mich immer und half mir an mich zu glauben. Bis dahin hatte ich ja als Damenfriseur gearbeitet. Und ich hatte mir nicht vorstellen können, einmal, wie die anderen Gitanos auf einer Fiesta zu singen, ich sah mich nicht als Künstler.

Ein Kritiker sagte vor kurzem, dass es im Moment niemanden gäbe, der besser die Soleá singt, als Tomás de Perrate.

In der Welt der Soleá gibt es unglaublich viele Varianten: der Cante von Juan Talega, Joaquín de la Paula, Manolito María, mein Vater Perrate, Fernanda de Utrera, das ist ein Mikrokosmos, eine Quelle, aus der ich noch heute trinke. Im Moment versuche ich mich gerade an der Soleá de Triana, das ist wieder eine andere Welt und eine große Herausforderung. Es gibt natürlich auch Cantes, die einem mehr liegen, als andere und man muss ja auch nicht alles können. Die Cantes de Levante oder die Malagueña sind für mich fremder als die Soleá.

Perrate © Óscar Romero · 010

Sie hatten ja immer einen großen Drang zur Innovation, das hört man auf Ihren Cds, auf der ersten „Utrera Flamenca. Tomás de Perrate y familia“, wie auf den neueren, moderneren Aufnahmen, wir „Perraterías“ und „Infundio“. Sehen Sie das auch so?

Ich bin kein Freund von Etikettierungen, das lernte ich schon sehr früh. Ich bin Sohn und Enkel von wem ich bin, sozusagen der Prototyp derer, die den Cante Puro vertreten. Aber meine persönlichen Erfahrungen haben mich woanders hingetragen, ich bin ein Kind der ersten Kassettenaufnahmen und ich war ungeheuer neugierig. Genauso wie Flamenco hörte ich die Eagles, Bob Marley, Sting, Police, Tom Waits und Underground. Ich sehe da weder eine Fusion noch eine neue Erfindung, ich sehe da eine ganz natürliche Entwicklung. Und wer bin ich denn, dass ich das aufhalten könnte? Ganz im Gegenteil, das Konventionelle langweilt mich jeden Tag mehr. Wenn jemand spielt, tanzt oder singt und es gut macht, sensibel mit der Musik umgeht, dann merkt man das, es erreicht die Menschen, es verletzt, wühlt auf, berührt, ganz egal in welcher Disziplin.

Wie wichtig waren für Sie Ihre Auftritte in den Peñas, welche Bedeutung haben die Peñas überhaupt?

Das ist etwas, worum sich das Kulturministerium und die Kulturabteilungen der Städte noch vermehrt kümmern müssen. Sie müssen viel mehr Unterstützung bekommen, denn in den Peñas werden wir erwachsen. Das ist die Plattform, wo wir unsere Kunst unter die Leute bringen. Früher hatten wir, die Gitanos, dazu unsere Treffen bei den Taufen oder bei den Hochzeiten, bei den Feiern und Fiestas. Heute beginnt das alles zu entschwinden und wenn die Peñas verschwinden, wird dem Flamenco die Basis entzogen und damit auch den Festivals, denn sie bieten uns eine Bühne und machen uns zu Künstlern.

Sie haben mit großen Tänzern und Tänzerinnen gearbeitet wie Belén Maya und Israel Galván. Wer liegt Ihnen mehr?

Ich arbeite jetzt seit mehr als vier Jahren mit Israel, aber ich singe nicht für seinen Tanz. Ich singe, was ich will und er bewegt sich darüber hinweg, das bestimmt vor allem er. Ich habe bei ihm Dinge gesehen, mit denen er mein Herz gewonnen hat. Er erfüllt mich mit seinem Rhythmus, seinem Compás, seiner Flamencura und seiner Radikalität. Er legt 20 verschiedene Tempis in einem Compás und sieht dabei noch gut aus. Mit Belén Maya ging es mir genauso. Sie hat auch eine Tendenz zum zeitgenössischen Tanz und wenn wir darüber sprechen, kommen wir auf das gleiche Ergebnis.

Wie waren Ihre Erfahrungen im Ausland, in Frankreich oder Harvard?

In Mont de Marsan und in Harvard hielt ich einen Vortrag mit dem Titel „El cante de Utrera de ayer y de hoy“. Ich begann mit meinem Vater, mit Fernanda, Bernarda und Diego del Gastor. Ich wollte ihnen die Welt von Utrera näher bringen. Dass die Sänger und Sängerinnen aus Utrera eine ganz eigene Daseinsform haben, sie drücken damit auch eine bestimmte Haltung aus. Das ist etwas ganz Besonderes, eine Verbundenheit, ein Spiel mit viel Humor, schwer zu erklären.

Welches sind für Sie die herausragenden Figuren in der Geschichte des Flamenco?

Im Cante bewundere ich Tomás Pavón, obwohl ich nichts von ihm singe. Er ist für mich einer der Besten, mehr als Pastora. Und natürlich Camarón. Dieser intimistische Camarón, den wir Aficionados kennen. Der alles gleich gut singt und mit einer ungeheuren Freude. Ich hatte nie persönlich mit ihm zu tun, aber ich sah ihn oft hier in Utrera, wenn er zu der Familie der Cucharas kam, sie waren befreundet – und wir wohnten nebenan. Und wenn er kam, ergab sich immer irgendwann eine kleine Fiesta, da kam dann Curro Romero und irgendwelche betuchten Leute. Und wir Kinder, wir waren elf oder zwölf, waren da immer dabei.

Im Tanz ist es für mich Israel Galván, er ist allen voran, hat sich am meisten weiter entwickelt. In der Gitarre ist es natürlich Paco de Lucía, aber mir gefiel auch immer Pedro Bacán und Pedro Peña Padre, der geniale Begleiter von Antonio Mairena.

Haben Sie neue Projekte?

Ich möchte mich einfach weiter entwickeln, ich inspiriere mich immer auch in anderen Musikarten, da kann ich gar nichts dagegen tun. Ich arbeite auch an meinem neuen Projekt „Soleá Sola“ für die Bienal de Sevilla.

Wie sehen Sie den aktuellen Flamenco?

In einem großartigen Moment, es gibt immer mehr Aficionados, immer mehr gute Sänger, Tänzer und Gitarristen. Natürlich gibt es viele, die nur kopieren, aber mit der Zeit wird es sich schon zeigen, welche von ihnen relevant sind. Im Moment steht alles in voller Blüte – wobei die neuen Technologien und die sozialen Netze natürlich viel beitragen, so etwas gab es noch nie.

Interview: Antonio Jiménez Cuenca für „La Fragua“

Titelbild: Fede Millán

Foto Soleá: Oscar Romero