Patricia Guerrero wurde 1990 in Granada geboren und ist mit Rocío Molina eine der jüngsten Sterne am Flamencotanzhimmel. Mit 9 Jahren hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt in der Peña „La Platería“, mit 17 Jahren gewinnt sie den Preis „El Desplante“ beim Festival del Cante de las Minas in La Unión. Sie tanzt in den Kompanien von Mario Maya und Rubén Olmo und Carlos Saura engagiert sie für den Film „Flamenco, Flamenco“. 2012 erhält sie den begehrten Preis für die interessanteste Neuentdeckung anlässlich der Bienal de Sevilla. Sie unterrichtet regelmäßig in der Schule von Andrés Marín und ist auch in Düsseldorf bereits zum 3. Mal aufgetreten. Ihr Temperament, ihre Ästhetik und ihre einfallsreichen und frischen Choreografien begeistern das Publikum auf der ganzen Welt. Im Moment ist sie mit ihrem neuen Stück „Touché“ auf den wichtigsten Festivals unterwegs.

Dieses Stück ist unglaublich erfolgreich. Hat dich das überrascht?

In „Touché“ habe ich Nummern aneinander gereiht, die für mich emotional sehr intensiv sind, sehr berührend und ich war mir nicht sicher, wie das Publikum darauf reagieren würde, aber ich glaube, es hat es gespürt. Wir haben auch untereinander viel darüber gesprochen, es ist ein sehr aufwühlendes Stück, die Teile sind sehr gut miteinander verbunden, da gibt es keine Atempause.

Wie war der kreative Prozess?

Als Bruno Axel und ich uns kennenlernten, hatten wir große Lust, miteinander zu arbeiten, aber wir kommen ja aus ganz verschiedenen Welten, er aus der klassischen Musik und ich vom Flamenco. Er hat mir viele Dinge vorgeschlagen und ich hab sie in den Flamenco eingebettet und am Ende waren unsere Sprachen dann doch nicht so verschieden.

Bruno spielt die Chaconne von Bach, eine Herausforderung für jeden Violinisten, wie ging das denn zusammen?

Klar, wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen, zuerst war kein Cante vorgesehen, dann versuchten wir es mit einer Milonga und dann war da plötzlich die Malagueña und sie passte perfekt, es funktionierte.

Das heißt, du hast natürlich bei jedem Stück, auch wenn es klassisch ist, einen Palo im Kopf.

Natürlich, sonst würde es nicht funktionieren. So ist es auch bei diesem zeitgenössischen Teil, ich tanze die Bulería, aber in Wirklichkeit ist es ein Stück von Schostakovitsch.

Als ich dich das erste mal gesehen habe, das war 2007, als du in La Unión gewonnen hast, da hast du noch ganz anders getanzt, da warst du wie ein junges Fohlen, das auf der Weide herum springt. Was hat dich so verändert?

Ich glaube, das hat viel mit Sevilla zu tun, wo ich jetzt lebe. Ich kam ja aus einer ganz anderen Schule. Diese sevillanische Art zu tanzen, diese Eleganz in den Bewegungen, besonders was die Arme und Hände betrifft, hat mich sehr verändert. Ich bin ruhiger geworden, bin nicht mehr so nervös, ich bin entspannter und natürlich auch reifer.

Wie verändert man etwas, das man so verinnerlicht hat?

Indem man zuschaut. Ich habe so viel gesehen in den Tablaos, diese vollkommen andere Art zu tanzen, diese Kopfbewegungen, diese Kraft, diese Marcajes, dieses Innehalten, ich versuchte, das alles aufzunehmen, was mir fehlte, eben diese Ruhe, diese Pausen, und ich denke, es hat mir gut getan.

Deine Anfänge waren aber in Granada

Ja natürlich. Meine Mutter hat mich in die Welt des Flamenco eingeführt und sie hat mich auch am Beginn meiner Karriere begleitet. Und ich frage mich oft, ob mir der Flamenco überhaupt gefallen hätte, wenn sie nicht gewesen wäre. Sie hatte damals eine Schule, sie war meine erste Lehrerin. Als sie sah, dass ich Talent hatte, schickte sie mich im Sommer oft zu Kursen nach Jerez, nach Sevilla oder zu Lehrern in Granada, die sie gut fand. Später ging ich dann zu Mario Maya, dort lernte ich sehr viel und dann holte er mich in seine Tanzkompanie. Ab diesem Moment traf ich auch meine eigenen Entscheidungen und suchte mir meine Lehrer selbst aus. Ich hatte aber den festen Entschluss gefasst wegzugehen und mit 18 ging ich dann nach Sevilla.

Das erste mal, als ich dich in Düsseldorf gesehen habe, warst du ja noch mit deiner Mutter hier.

Ja, das stimmt, sie ist früher immer mitgefahren, aber heute nicht mehr.

Hat sie ihre Schule noch?

Nein, aber sie gibt immer noch Unterricht in der Schule ihres Namens, Carmen de las Cuevas und egal wohin ich fahre, ob nach Argentinien oder Brasilien, treffe ich immer Leute, die bei ihr Unterricht hatten.

Sie ist also noch ein fester Bestandteil der granainer Flamencoszene.

Auf jeden Fall. In Granada tut sich im Moment sehr viel, neue Konzertsäle werden eröffnet, neue Tablaos und vor allem neue Schulen und das ist das wichtigste, finde ich.

Du bist ja noch sehr jung und gehörst nicht zur berühmten Generation der 70er, aus der so viele große Künstler hervorgegangen sind wie Israel Galván oder Isabel Bayón.

Die kamen alle vom Ballet Andaluz von Mario Maya, da waren so viele begabte Leute dabei, ein richtiger Block, heute sind wir alle viel verstreuter, kommen nicht aus der gleichen Schule, darum ist es vielleicht nicht so offensichtlich, aber auch heute gibt es viele gute Leute. Aber diese Gruppe um Israel Galván bildete die Avantgarde.

Interessieren dich Stücke, die ein Thema haben wie „Lo Real“ von Israel oder „Romnia“ von Belén Maya?

Auf jeden Fall, das interessiert mich sogar sehr. Da wir heutzutage auf Theaterbühnen tanzen sind die Anforderungen ja ganz anders und wir können nicht mehr immer das gleiche machen wie in den Tablaos. Ich finde das total spannend, wenn man eine Geschichte durch den Tanz erzählt.

Welches Thema würde dich denn interessieren?

Ich arbeite gerade an einem neuen Stück für die Bienal de Sevilla mit dem Titel „Catedral“. Das Thema der Religion hat mich schon immer angezogen, erstens weil ich religiös bin, ich bin gläubig und ich mag auch dieses Ambiente, die Spiritualität und was in der Kirche gelebt wird, in einer Kathedrale und darum wird es in diesem Stück gehen. Mal sehen, was dabei herauskommt.

Findest du es wichtig, eine Religion zu haben?

Ich glaube schon, mir gibt die Religion, in meinem Fall die christliche, sehr viel, vom ethischen als auch vom moralischen Standpunkt her. Sie ist meine Referenz, sagt mir, was gut und böse ist, was ich tun muss um glücklich zu sein oder um andere glücklich zu machen. Ich mag das, wenn da jemand ist, an den ich denken kann oder den ich um etwas bitten kann.

Sie berührt dich auch. Hat der Titel „Touché“ auch damit zu tun?

Eigentlich kommt das vom Fechten, aber natürlich auch von der emotionalen Bedeutung oder auch vom Bogen, wenn er die Geige berührt.

Hier tanzt du ja wieder allein, hast du kein Bedürfnis mit anderen zu tanzen?

Doch, ich habe diesen Sommer sogar ein Stück mit einem zeitgenössischen Tänzer gemacht, „Doce tiempos“, das war großartig und natürlich würde ich gerne mit Flamencos tanzen, mit Andrés Marín zum Beispiel. Aber mal sehen, vielleicht ergibt es sich ja.

Da fällt mir noch was ein. Ich habe gerade mit Gema Caballero gesprochen…

Oh ja, das war meine erste Cantaora, da war ich noch klein, ich hab ein Video, da bin ich vielleicht 9 oder 10 und Gema singt.

Und heute?

Hab ich meistens Männer, die singen, aber das hat meist mit anderen Umständen zu tun, auch mit Stimmung der Gitarre oder der Violine. Aber es gibt ja unglaublich viele gute Sänger und Sängerinnen, da fällt die Wahl manchmal schwer.
Das ist im Tanz ja genauso und da ist der Fächer noch weiter geöffnet.

Genau. Wir leben in einer wunderbaren Zeit. Wir können Rocío Molino und Pastora Galván haben. Wir können wählen, der Flamenco hat sich entwickelt und verändert und wir mit ihm und das sollten wir genießen und nützen. Du kannst dir kein Iphone 6+ kaufen und dann eine Seguiriya singen wie sie vor 100 Jahren war. Wir können tun, was uns gefällt und die, die sich Grenzen auferlegen, bleiben eben hinten. So wie manche Kritiker bei der Bienal von Sevilla. Wir sind alle Flamencos, damit sind wir aufgewachsen und das wird wohl niemand bestreiten.

Hast du noch eine Abschlussbotschaft?

Nein – oder doch: Wir sollten uns die Latte nicht immer so hoch legen lassen, immer andere übertreffen wollen. Vor allem musst du dich selbst wohl fühlen bei dem, was du tust und dir deine Maßstäbe selbst setzen. Die heutige Künstlergeneration ist eine, für die die Freundschaft sehr wichtig ist, wir sind alle gute Kollegen und unterstützen uns gegenseitig, wir freuen uns über die Erfolge der anderen und das ist wunderbar.

Foto: Klaus Handner