Antipoden ist also die Bezeichnung für einen an einem diametral entgegen gesetzten Punkt der Erde wohnenden Menschen, in diesem Fall die wunderbaren Zwillingsschwestern Florencia Oz und Isidora O’Ryan. Flo ist Flamencotänzerin in Spanien, Isi ist Cellistin und Sängerin in Chile. Nach mehr als 15 Jahren kreuzen sich ihre Wege auf einer sentimentalen Reise zueinander.

Schon nach wenigen Minuten ist klar: Florencia ist die starke, durchsetzungsfreudige Tänzerin, Isidora die sensible, weichere Musikerin. Im Halbschatten umkreisen sie sich, sie spüren, riechen, fühlen einander wie zwei Vögelchen flattern sie, sanft, behutsam aber auch fröhlich, wie die beiden Täubchen im Lied von Violeta Parra „Tú, palomita, te vas volando, adónde vas?“

©Javier Fergo
©Javier Fergo

Die Kostüme sind einfach, so es überhaupt welche sind, und dennoch mangelt es nicht an Ideen, der knittrige, bauschige Taftrock, der über die beige-grauen Kleider geklemmt wird, erlaubt erstens vielseitige Verwendung, er hüllt Florencia ein und verwandelt sie in ein Fabelwesen, er dient als Zelt für die geheimen Spiele der Mädchen, der schönste Moment dauert aber nur eine Sekunde: wenn die beiden in selbstbewusstem Schritt mit dem Rücken zum Publikum dahingehen und diesen kleinen Aufwärtsschwung mit der Hüfte machen, fühlt man die Hand von David Coria. „Bella Figura“ von Jiri Kylian? Er kennt sie bestimmt.

©Javier Fergo
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Auch ein Hauch von Pina Bausch schwebt über der Szene, aber nur ein Hauch.

Bei aller Sentimentalität über die Schwesterngeschichte darf man nämlich eines nicht vergessen: dass hier zwei hervorragende Künstlerinnen auf der Bühne stehen.

Die musikalische Reise geht weiter über einen Song von Isidora, eine Guajira, eine Seguiriya und endet im „Doppelgänger“, einem der sechs Lieder aus dem Schwanengesang von Franz Schubert.

©Javier Fergo
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Genial. Emotional. Hintergründig und … „Als Schwanengesang bezeichnet man das letzte Werk eines Musikers oder eines Dichters. Der Ausdruck geht auf einen alten griechischen Mythos zurück, der besagt, dass Schwäne vor ihrem Tode noch einmal mit trauriger, jedoch wunderschöner Stimme ein letztes Lied anstimmen.“ sagt Wikipedia und da war es dann um uns geschehen. Manche weinten still, andere schluchzten laut und fielen sich in die Arme, und das alles um die Mittagszeit, nicht im Schutz der Dämmerung. Gott schütze diese beiden wunderbaren Wesen, die uns Momente des Glücks schenkten.

Doppelgänger

Still ist die Nacht, es ruhen die Gassen,
In diesem Hause wohnte mein Schatz;
Sie hat schon längst die Stadt verlassen,
Doch steht noch das Haus auf demselben Platz.

„Antípodas“

Florencia Oz, Isidora O’Ryan

15.05.2021 Museos del Atalaya

Festival de Jerez

www.festivaldejerez.es

Fotos: Javier Fergo

Text: Susanne Zellinger