Dieses Wochenende feiert Nina Corti noch einmal ihr 50 jähriges Bühnenjubiläum, sie war ihrer Zeit so weit voraus und ich erinnerte mich, dass ich sie vor vierzig Jahren schon tanzen sah, in Jeans natürlich und sie tanzte an den besten Häusern Europas. Heute ist sie aktiver und schöner denn je, eine wunderbare Frau und eine große Künstlerin. Vor zwei Jahren erzählte sie für flamenco divino ihre Geschichte und sprach über ihre außergewöhnliche Karriere.

Nina Corti: Irgendwie kann ich es selbst nicht ganz glauben…

Wenn ich nicht alle diese verschiedenen Unterlagen aufbewahrt hätte, die ich vor kurzem bei meinem Umzug etwas überflogen habe, die unzähligen Kritiken, natürlich nur die guten, die anderen habe ich weggeworfen, dann würde ich alles irgendwie vergessen haben, oder es wäre wie im Dunst über einem Tal, irgendwo im hintersten Winkel meines Bewusstseins hängen geblieben.

Nun, ich habe jedenfalls mit dem Wirrwarr diversester Fotos Schluss gemacht, habe nach dem aufmunternden Rat meines lieben Mannes alle in angeschriebene Couverts sortiert und dann in Plastikkisten gelagert, also richtig Ordnung gemacht. Ich bin ganz stolz darauf, dass ich nun wieder etwas mehr Übersicht habe, über die wunderbaren Begebenheiten, die in Jahrzehntelanger Vergangenheit, aber auch bis zu einem halben Jahrhundert zurückliegen. Ich kann‘s kaum fassen.

Nina Corti José Mercé

Ich staune über die Fotos, wo ich nur posierte, mein Innerstes der Kamera preisgab oder die Live Fotos von der Bühne, diese, vor allem in Schwarzweiß, kunstvolle, ausdrucksstarke Momente, die von begabten Fotografen eingefangen wurden. Fotos mit Seltenheitswert, zusammen mit Flamencostars wie den Sängern José Mercé, Ramón el Portugués und seinem Bruder Guadiana oder gar meinem geliebten Enrique Morente mit dem wunderbaren Solo Gitarristen Luis Pastor, der noch die alte Schule des Flamencos beherrschte. Sie alle in Aktion, auf großen und kleinen Bühnen, in ihrem wahren Element, in der Inbrunst ihres fantastischen Könnens. Ich liebte sie alle, ich liebte, wie sie sangen, jeder ganz anders und auf seine Weise, wie sie untereinander kommunizierten, sich mit einem vielsagenden Blick anschauten, sich gegenseitig unterstützten und dann ein „olé“ sich zuwarfen, wenn sie berührt waren von der inneren Reinheit und Reife, die über die Stimme sich Ausdruck verlieh. Aber auch wenn mal etwas daneben ging, riefen sie ein überzeugendes, aber anders gemeintes „olé“, ein Unterstützendes. Ja, auf der Bühne hielten wir alle immer zusammen, wir wollten das Maximum aller künstlerischen Möglichkeiten im Lichte der Scheinwerfer ausgeschöpft wissen und präsentieren, wir wollten, dass das Publikum berührt ist, von jedem einzelnen Musiker und auch ich hatte immer den Wunsch, alles zu geben, was ich hatte, alles zu verschenken und kein Theater zu spielen, nichts nachzuahmen, sondern nur ich selber zu sein. Ich fühlte mich wie in einer Familie, wo jeder einzelne genau gleich wichtig war und wo wir Freud und Leid miteinander teilten. Jede Vorstellung war wieder eine neue Chance, sich zu steigern, irgendwo hatten wir einen großen Fundus an Erfahrungen, nie wurde es aber zur tödlichen Routine.

Ja, der wunderbare Sänger Enrique Morente begleitete uns während gut drei Jahren, von 1983-85, und wir erlebten mit ihm eine künstlerisch sehr wertvolle Zeit. Es war eine außergewöhnliche Erfahrung mit ihm zu arbeiten und wir lernten enorm viel, auch von seiner bescheidenen und humorvollen Art. Alle verehrten Enrique und genossen diese gemeinsamen Vorstellungen im In- und Ausland.

Da ich nichts über die Experimentierfreudigkeit zwischen den Musikern und den Tanz stellen wollte, nannte ich diese Gruppierung über all die vielen Jahre seiner Existenz „Flamenco Inspiration“ mit dem jeweiligen Untertitel des aktuellen Programms.

Enrique nina Jacek Franziska Gerschter

Bio – Meine Lehrer

Ich bin ja in Zürich aufgewachsen und keine Spanierin, vielleicht habe ich irgendwo Vorfahren mit spanischem Blut. Mein Vater war italienischer Herkunft, Bratschist an der Tonhalle in Zürich und auch an der Oper, wo ich bereits als kleines Mädchen auf einem Schemel neben ihm im Orchestergraben sitzen durfte. Ich liebte die Opern von Mozart und Verdi und die Ballette von Tschaikowsky und Prokofjew. Ich sang alle diese wunderschönen Melodien zuhause für mich alleine. Sie waren meine unmissverständliche Sprache, wo es nie Diskussionen gab, wo einfach nur Glückseligkeit zum Ausdruck kam. Mein Vater spielte auch bei den „Kammermusiker Zürich“ und meist fanden die Proben mit Schubert, Mozart und Tschaikowsky bei uns zuhause statt. Diese Musik, die unser Haus erfüllte, begleitete mich ständig und gab mir so etwas wie ein wohliges Gefühl. Ich glaube, sie war meine Stütze für alles, was nicht so rund lief und führte mich auch zu meinen Bewegungen im Tanz, die aus mir heraus quollen und sich in den Wellen der Musik wiegten. Ich war eher introvertiert und konnte zum ersten Mal mit 11 Jahren in der Ballettschule aus mir herausgehen, mein Rücken und meine Fesseln erstarkten und meine nach innen zeigenden Füße, über die ich zu oft stolperte, veränderten ihre Position. Zwar hatte es nicht gereicht, Balletttänzerin zu werden, das erkannte ich im 5. Jahr an der Ballettschule des Opernhauses bei der Russin Natascha Kelepovska. Aber es gab mir Eleganz und innere Grazie und die Basis für den Flamenco, den ich mit 17 Jahren entdeckte und gleich in der ersten Stunde wusste, dass diese Ausdruckform für immer zu mir gehören würde. Es fühlte sich beinahe an wie etwas Altbekanntes.

Die berühmte Schweizer Flamencotänzerin und Lehrerin Susana Audeoud war meine Mentorin. Sie förderte mich sehr und lud mich zu sich in ihr spanisches Haus nach Playa de Aro ein, wo sie mich privat unterrichtete. Bald durfte ich bei ihr auf der Opernhausbühne im „Choreostudio“ als Solistin tanzen.

Nina Corti in weiß

Später fasste ich Mut und ging 1977 nach meiner vierjährigen Lehre als Goldschmiedin nach Sevilla, wo ich von „Enrique el Cojo“ im heißesten Monat August im Tangos unterrichtet wurde. Es war seltsam, wie dieser kleine Mann, der nicht recht gehen konnte, trotzdem so vieles an Rhythmus, den er mit einem Maßstab auf den Tisch klopfte, und Arm- und Handbewegungen, einfach das Gefühl für den Flamenco vermitteln konnte.

Kurz danach zog es mich nach Madrid an die altehrwürdige Schule „Amor de Dios“. Wie ein Schwamm sog ich begierig alles auf, was mir von den Lehrern gezeigt wurde. Damals unterrichtete Maria Magdalena diverse Techniken, auch das Spiel der Kastagnette. Sie war präsent und behielt jeden der vielen Schüler im Auge. Ich begab mich auch in die Klasse von Pedro Azorín, dem fantastischen Jota Tänzer und Lehrer. Er sang mit lauter, sonorer Stimme die Jotas der verschiedenen Regionen und sprang in wunderbarer Eleganz die schwierigsten Schritte, die man sich vorstellen kann. Ich hatte nach zwei Wochen von den Übungen an meinen Schienbeinen so große Schmerzen, dass ich deswegen unterbrechen musste, was ich sehr bedauerte. Dafür ging ich vermehrt in die Stunden zu La Tati mit Tientos und Tangos, des Freude versprühenden Paco Fernández mit Alegrías und Soleares, zu Guito, von dem ich sehr viel lernen konnte in punkto Körperhaltung, seinen typischen Drehungen und Zapateados. Sie alle waren verschieden in ihrem Ausdruck und der Art, sich zu bewegen. Am meisten profitierte ich von meinem Meister Ciro. Er war nicht nur technisch sehr gut in Clásico Español und im Flamenco mit subtilen Zapateados und seinen sehr persönlichen Drehungen, er war auch sehr fantasievoll und musikalisch und konnte zu den Falsetas die schönsten Schritte zaubern. Ciro war ein strenger Lehrer, der aber mit viel Humor die Stunden aufheiterte und unsere Stimmung damit lockerte. Ich empfand große Bewunderung für ihn und seine Kunst, der er sich ganz hingab.

Bühnenkleider

Meine Kostüme entwarf und nähte ich fast alle selbst. Woher ich diese Begabung habe – ich denke, von meiner Mutter, die Modedesignerin war und mir überhaupt sehr viel Sicherheit in diversen künstlerischen Stilen vermittelte. Ich hatte meine Freude daran zu einem Tanz, dessen Musik und Gefühl ich verinnerlicht hatte, ein Kleid zu nähen, meist kurz vor der entsprechenden Vorstellung. Ich entwickelte so viel Energie, dass ich alles um mich herum vergaß. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer meine Nähmaschinen jemals genäht haben.

Nina Corti in Jeans

Das berühmteste Kleidungsstück meiner „Flamenco Inspiration“ stellte ich aber nicht selber her, ich kaufte es von der Stange. Es waren simple Bluejeans, erst kombiniert mit einem ganz normalen ausgefransten T-Shirt, später einer blauen Seidenbluse. In den Gassen Madrids, nach einer Vorstellung im Tablao, in Begleitung der Musiker, überkam uns öfters die Freude, den Flamenco Rhythmus zu klatschen, zu singen und zu tanzen, ich in meiner ganz normalen Bekleidung, den Jeans. Und irgendwann hatte ich Lust, in der selben Aufmachung auf der Bühne zu tanzen, zeitgemäß, modern, ohne dieses Modell, angelehnt an vergangene Zeiten oder das bekannte Outfit der Gitanos. Trotzdem liebe ich auch genau das Herkömmliche, wenn es für mich passend ist. Es sind zwei totale Gegensätze, die meines Erachtens beide ihre Berechtigung haben. Jedenfalls war für mich auch ganz klar, eine Solea por Bulería in diesen Jeans zu tanzen, mit Saxophon, Kontrabass Sound und Flamencogitarren, mit Cello- und Bratschenklängen, mit den Stimmen von Ramón und Guadiana, in Begleitung der Percussion, der Palmas u

des Cajóns. Dieser Tanz wurde zu einem meiner absoluten Lieblinge, wo ich auch im Rhythmusteil improvisieren konnte, was jedes Mal eine besondere Herausforderung und Freude war, dieser Reiz, sich auf Offenes einzulassen, ganz aus dem Moment heraus zu reagieren.

Experimente mit Musikern aus verschiedenen Welten

Als ich 1980 den Flamencogitarristen Pepe Habichuela mit Jacek Bednarek, dem polnischen Jazz Kontrabassisten und dem Querflötisten Krzistof Zgraia bekanntmachte, wurde er etwas still. Das kam für ihn völlig unerwartet, er musste sich plötzlich mit anderen Musikstilen auseinandersetzen und ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht gerade einfach für ihn war. Aber er fand Gefallen daran, besonders an Jacek, der dann auch für immer in der Gruppe blieb. Jacek war ein Vollblutmusiker, entfachte Feuer und brachte magische Klänge aus seinem Bass hervor.

Das war der eigentliche Anfang des Experimentierens zwischen Flamenco und Jazz, der wie eine Bombe beim Publikum einschlug. Später kam der deutsche Saxophonist Thomas Günther dazu, der abwechselnd mit den Flamencogesängen seine Saxophonstimme als Antwort einfließen ließ. Das fand ich wunderbar und es inspirierte mich unglaublich. Auch mein Bruder Daniel komponierte einiges für sein Bratscheninstrument und die Cellistin Stefania Verità verführte mit ihrem zauberischen Instrument und spielte unter anderem auswendig ihren Feuertanz von Manuel de Falla. Die Klassik hatte also auch da noch ihren Platz gefunden. Ich hatte nie Berührungsängste zwischen diversen Stilrichtungen zu switchen, auszuprobieren, was gut klang und irgendwo Sinn machte. Die Zeit zeigte, was Bestand hatte und auch das, was dann eben nur wenige Male aufgeführt wurde.

Nina mit Saxofon

 Damals war das Verständnis der ausländischen Flamencoschulen und Artisten und auch vieler spanischer Flamencokünstler nicht so groß für meine lustbetonten Experimente und ich fühlte mich ziemlich alleine gelassen. Aber mein Erfolg bestärkte mich in meinem Innern und die Musiker in meiner Gruppe wurden zusehends kreativer und freuten sich auf jede der vielen Vorstellungen.

Bestimmt ist es sehr wichtig, dass die Wurzeln der Flamencomusik nicht verloren gehen, dass es Musiker gibt, die das Authentische hegen und pflegen. Ich habe ja auch nur davon profitieren können, mich davon genährt und daraus meine Ideen entwickelt, zusammen mit meinem musikalischen Hintergrund, meinem eigenen Verständnis für Musik und Tanz. Letztendlich haben auch klassische Komponisten wie De Falla, Rodrigo oder Ravel sich vom Flamenco inspirieren lassen und daraus die schönsten und eingängigsten Werke geschaffen.

Es gab einige wunderbare Musiker, wie zum Beispiel die „Ketamas“, die junge Generation der Carmonas, die alle musikalisch verewigt sind, da wir vor großen Tourneen jeweils die neu erarbeiteten Stücke aufnahmen und LPs und CDs damit produzierten. Meist nahm der Tonmeister Peter Pfister zwei oder drei Versionen mit seinem Mobilen Tonstudio auf und beließ es einfach bei den besten, ohne noch viel dran rum zu basteln. So behielten sämtliche Lieder ihre Frische und ihren Live Charakter. Und so existieren sie heute als wertvolle Tondokumente. Enrique Morente und Luis Pastor sind mit einer Soloplatte verewigt und auch die Kammermusiker Zürich, mit denen ich ein ganz eigenes Programm entwickelte.

Pepe Habichuela, Juan Carmona Chocolate Jacek Krzistztof

Die Kammermusiker

Zu Beginn der 80er Jahre war es noch ihr Programm und ich wurde dazu eingeladen, den Fandango von Boccherini und den Taranto zur Musik von Antonio Robledo, Susana Audeouds Mann, zu tanzen. Nach und nach suchten wir weitere Stücke und Brenton Langbein, der erste Geiger des Ensembles, bearbeitete für das Kammermusik Sextett eine Pavane, dann das bekannte Stück von Albeniz, „Sevilla“, „Ay mi Morena“, ein spanisches Volkslied und dazu passten auch ausgezeichnet De Fallas „Feuertanz“ und der eingängige „Tango“ von Albéniz. Dann komponierte ein Freund der Musiker, der Komponist Joseph Haselbach, das „Tanzlied“ für uns. Das moderne Lied fügte sich sehr gut in das ganze Programm ein, da es etwas Außergewöhnliches ist, zeitgenössisch, aber trotzdem den Flamencorhythmus immer wieder durchscheinen lässt. Ich liebte dieses Stück und das Publikum auch. Später erweiterte ich mein Repertoire mit Oración del Torero von Turina, mit Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, für dessen Choreographie das Carmina Quartett mich anfragte. Ich habe sehr großen Respekt vor diesem Stück und wollte es erst gar nicht machen. Aber dann probierte ich im Studio einzelne Teile daraus und nach und nach erwuchs eine für mich geeignete Interpretation dieses wundervollen Werkes, das ich in meiner Kindheit viele Male zuhause bei den Kammermusiker Proben hörte und bereits damals verinnerlicht hatte.

Erfahrungen mit Symphonie Orchester

Eines Tages rief mich der Chef des Tonhalle Orchesters Gerd Albrecht an, er habe gehört, dass ich etwas von Flamenco verstehe und ich solle ihm doch etwas darüber erzählen. Es handelte sich dabei um Vorstellungen für Schüler, denen er den Dreispitz von Manuel De Falla näherbringen wollte. So erzählte ich über Herkunft, Rhythmus und so weiter, bis er meinte, ich solle doch selber auf der Bühne erzählen und tanzen. Ich war etwas irritiert, da es nur noch ein paar Tage waren bis zur ersten Vorstellung. Also versuchte ich aus meinem Gefühl heraus frei von der Leber weg zu erzählen und improvisierte zum Fandango, dem Tanz der Müllerin und zur Farruca, dem Tanz des Müllers. Ich weiß nicht mehr, was ich da alles gemacht habe, aber der Erfolg war groß und meine Kastagnetten kamen sehr gut an, so dass ich mit demselben Programm 10 Jahre später im Haus des Wiener Musikvereins auftreten konnte und dann in Hamburg mit dem Hamburger Staatsorchester, vom NDR aufgezeichnet. Das war ganz bestimmt ein gewisser Höhepunkt, der mir viele Türen für Orchesterproduktionen öffnete, wie zum Gewandhaus Orchester, der Dresdner Philharmonie etc.

Ein für mich unglaubliches Stück war das Choreographieren vom Bolero von Ravel. Ich wusste nicht, wie ich es anfangen sollte, in so einem langen Stück die Spannung zu halten und den Faden nicht zu verlieren, mich nicht zu irren in der Reihenfolge. Die Premiere fand in einer kleinen Tournee mit der „Sinfonietta Basel“ statt. Es war ein außergewöhnliches Ereignis, in Zürich, meiner Heimatstadt und in der Tonhalle auf der Bühne zu tanzen, mit so vielen jungen talentierten Musikern, mit deren gemeinsamer Power ich mich eins fühlte. Es gibt keine Worte, dieses Gefühl nur annähernd zu beschreiben. Ich kann nur sagen, dass ich in meinem Element war und mit Überzeugung meine neueste Kreation vorführte, die ich über Wochen alleine erarbeitet hatte. Ich hatte keinen Coach, außer meinem damaligen Mann hatte das vorher niemand gesehen, das war schon aufregend.

Ich hatte danach das unsägliche Glück, dieses wunderbare Werk immer und immer wieder mit diversen Orchestern Europas aufzuführen, gemeinsam mit der Carmen Suite, dem „Dreispitz“ oder den „Danzas Fantásticas“ von Turina.

Auch den Zarzuela Abend „Granada“ mit dem Tenor Héctor Sándoval liebte ich sehr. Héctor ist ein Vollblutmusiker, der sich geschmeidig und rhythmisch auf der Bühne bewegen kann. Wir waren so etwas wie ein Paar, das sich ganz auf Laras Komposition einließ und sie zusammen ausschöpfte. Meine Bühnenpartner suchte ich beinahe ausnahmslos unter den Musikern, mit denen ich mich sehr verbunden fühlte und mit denen ich auf der Bühne andauernd kommunizierte.

Außergewöhnliche Momente

Diese hatten natürlich neben der Bühnentechnik immer mit den Musikern zu tun, wenn einfach alles stimmte und wie aus einem Guss war. Die Mischung aus Flamenco und Jazz oder Flamenco und klassischer Musik fand ich immer sehr spannend.

Es gäbe noch so vieles zu erzählen von großen Musikern, Ausnahmetalenten, mit denen ich die Bühne teilen durfte, von Ereignissen hinter und auf der Bühne, von unglaublich schönen Orten, wie der Arena von Nîmes, der Royal Albert Hall, oder der Eröffnung der Ausstellung des spanischen Malers Francisco de Goya in der National Gallery in London, wo ich mit einem klassischen Musiker Ensemble meinen Fandango und eine Improvisation bei den Granados Liedern, interpretiert von der Sopranistin Amaya Azcona, tanzen durfte, von den „Los Reyes“, den eigentlichen „Gipsy Kings“ aus Arles, die ich unzählige Male bei ihrer fantastischen Rumba Catalana begleitete, die nur schöne Gefühle hervorbringt. Ihre Musik fand ich immer mitreißend und gar nicht so einfach tänzerisch umzusetzen, wenn es dann choreographisch inhaltsreich sein sollte.

Jazzfestival Montreuy Jazzpaña 1995

Aufgeregt war ich vor der Vorstellung am Jazzfestival Montreux mit Jazzspaña und Vince Mendoza, der WDR Bigband, Jorge Pardo, Juan Manuel Cañizares und anderen tollen Musikern, die an diesem speziellen Programm mitwirkten. 10 Tage zuvor bekam ich das Musikband der Stücke, die gespielt werden sollten und ich suchte mir vier davon aus und choreographierte sie alle. Es waren dann nur zwei, die aufgeführt und mitgeschnitten wurden. Für mich war dieser Anlass ein totales Highlight, an das ich mich sehr gerne zurückerinnere.

Die Magie der Bühne

Das, was mich aber oft in Unruhe versetzte, war die Ungewissheit, was nun eigentlich passieren würde, wer alles mitwirken würde, bei welchen Stücken ich tanzen sollte, ob geeignetes Bühnenlicht vorhanden wäre, wie die Akustik denn wohl wäre und nicht zuletzt, auf welcher Art von Boden das ganze stattfinden würde. Als Tänzer ist man angewiesen auf einen geeigneten Holzboden und auch auf eine gewisse Größe. Immer wieder habe ich erlebt, dass sehr vieles des hier aufgezählten einfach nicht vorhanden war und ich musste lernen flexibel zu bleiben, zu improvisieren und mich vor allem niemals zu ärgern, denn das war letztlich nur kontraproduktiv. Das hätte etwas von meiner Souveränität genommen und der Ausstrahlung geschadet.

Dann gab es auch Missgeschicke während einer Vorstellung, mit einem Absatz, den ich plötzlich neben meinem Schuh wiederfand, oder einem runter gerissenen Volant am Rocksaum meines Kostüms, der installierten Tontechnik am Absatz, die nicht funktionierte und so weiter. Endlose Geschichten.

Da wurde dann viel anderes nebensächlich, alles konzentrierte sich nur noch auf die Bühne, auf den kurzen Moment, der so magisch und elektrisierend sein kann und danach nur noch aus der Erinnerung lebt.

Oft sagte man mir, ich sei ein ganz anderer Mensch auf der Bühne. Ja, es stimmt. Die Bühne bietet diesen speziellen Raum, der einen zur Verwandlung verführt, wo ungeahnte Kräfte im Nu wach werden und man sich von schützenden Engeln getragen fühlt, als sei man deren Sprachrohr. Ein unvergleichlich schönes Gefühl nach harter Arbeit für einen Moment in diese lichtvolle Energie tauchen zu dürfen, um sich danach wieder im profanen Leben zurückbefördert zu sehen, aber genährt von diesen geheimnisvollen Augenblicken, die wahrscheinlich nur den Künstlern vorbehalten bleiben. Wahrscheinlich …

2013-2019

2017 konnte ich im Eröffnungsjahr der Elbphilharmonie zusammen mit der Ausnahmepianistin Elisaveta Blumina im Piano Trio neue Stücke von Cesar Franck, Arvo Pärt und Piazzolla choreographieren und tanzen. Ich hatte Jahre zuvor lange für neue Stücke recherchiert und hatte nun die Gelegenheit sie endlich aufzuführen. Es war eine wunderbare Herausforderung, für die ich, wie gewohnt, unzählige Stunden im Studio verbrachte und mich mit den Stücken minuziös auseinandersetzte.

Dann in diesem Jahr die Aufführungen mit einem meiner Lieblingsmusiker Jordi Savall und im November die Einladung vom „City Chamber Orchestra of Hong Kong“ für Boccherinis Fandango und Bartóks Rumänische Volkstänze.

London, Foto Alan Barnes 9 Kopie

2013 und 2014 erhielt ich die Chance für die Solisten Rosana Romero und Adrian Santana die Carmen Suite von Rodion Schtschedrin, „El Amor Brujo“ und das „Concierto de Aranjuez“ zu choreographieren. Eigentlich wollte das Hong Kong Orchester mich als Tänzerin engagieren, aber ich konnte krankheitsbedingt über längere Zeit nicht solistisch tanzen. 2014 war das Jahr, wo ich wieder neue Kräfte hatte und zum Schluss der Abende eine Bulerías als Zugabe tanzte. Alles ging wie von selbst, obwohl ich nicht trainiert war. Ich empfand diesen Moment so stark und als Gottes Geschenk und ich wusste, dass der Moment gekommen war, wieder ernsthaft mit dem Training anzufangen. Darum freute ich mich doppelt über dieses erneute Engagement 2019 vom „City Chamber Orchestra of Hong Kong“.

Madrid

Mein Entschluss stand fest, also ging ich 2014 nach Madrid, suchte mir eine Wohnung und fing wieder fast bei Null an. Eine Stunde täglich war das absolute Limit, dann ging es aber unerwartet schnell aufwärts und ich trainierte wieder drei bis vier Stunden täglich, lernte bei verschiedenen Lehrern, bekam auch unerwartete Engagements. Wichtige Begegnungen und Trainer in meiner allerletzten Zeit waren Jesús Lozano und Rosa Zaragoza, die für mich auch choreographierte und meine Lehrerin Gala Vivancos, die mich in technischen Fragen und bei den Choreographien sehr unterstützt und mich weiterbringt. Heute lebe ich jeweils ein halbes Jahr in Spanien und das andere halbe in der Schweiz.

Die Verbindung zum Tanz

Auch in meinem Leben gab es in privater und professioneller Hinsicht oft stressige Situationen, aber der Tanz hat mich immer wieder geerdet und mir gezeigt, dass es sich lohnt für ihn zu leben. Er macht mich auf besondere Art und Weise glücklich und dieses Glück drückt sich unmittelbar während des Tanzens aus. Auch heute spüre ich wieder ganz stark diese enge Beziehung zum „Spanischen Tanz“ in seinen vielfältigen Formen, diese Lust zu tanzen und diese Freude darüber, was ich alles damit auszudrücken vermag. Und ich habe nie ausgelernt, das ist das Großartigste überhaupt, das Leben bleibt deshalb immer in einer gewissen Spannung, es eröffnen sich neue Räume und Wege, vieles wird möglich, wird neu und verändert sich.

15./16.10.2022 Bachturnhalle Schaffhausen

Tickets und Infos: https://eventfrog.ch/de/p/gruppen/50-jahre-flamenco-nina-corti-6912032948103907531.html

Text: Nina Corti, Titelfoto: Stephan Trösch, Fotos: Künstlerarchiv