Cristina Hall zeigte beim Flamencofestival im tanzhaus nrw ihr neuestes Stück „Translúcido“, eine Produktion, die viele kontroversielle Reaktionen beim Publikum hervorrief, aber das ist für sie nichts Neues. Als Schülerin ihres Meisters Andrés Marín ist sie daran gewöhnt und wie er verfolgt sie ihren eigenen Weg, auch wenn es nicht immer leicht ist.

Erzähl uns etwas über dein neues Stück, das ist ja nicht so einfach zu verstehen

Es heißt „Translúcido“. Carlos Carbonell, Ana Pérez und ich haben es gemeinsam entwickelt, die Choreografie und alles andere auch. Die Musik ist von Cristian de Moret, wir haben die letzten drei Monate daran gearbeitet und das Thema ist die „Condition humaine“, das menschliche Sein, das Wesen des Menschen. Für mich war es wichtig, die Bühne mit anderen Tänzern zu teilen, ohne Protagonismus, wir sind alle gleich stark und jeder von uns zeigt seine Persönlichkeit, seine eigene Geschichte und jeder von uns kommt mit seinem eigenen Gepäck. Wir sagen ja oft, dass wir transparent sind, durchsichtig sozusagen, aber das glaube ich nicht. Ich denke, dass jeder von uns viele Facetten hat, die zu Tage treten, je nach der Situation in der wir uns befinden und je nachdem, wen wir vor uns haben und deshalb der Titel „Translúcido“, das heißt, es gibt immer etwas dahinter, etwas Verborgenes, das man erst suchen muss, wenn man es wirklich sehen und spüren will.

Was hast Du denn im Gepäck?

Ich habe mit 16 Jahren in San Francisco zu tanzen begonnen und mit 18 ging ich dann nach Sevilla, ich hatte Vorstellungen und Träume, von denen ich mich trennen musste. Ich war noch sehr jung, sehr naiv und sah sehr bald, dass ich als Ausländerin nicht überall mit offenen Armen empfangen wurde. Man riet mir, meinen Namen zu ändern und meine Haarfarbe, also machte ich mich auf die Suche nach meinem eigentlichen Sein, ich musste mich fragen, wer ich eigentlich bin. Der Flamenco war meine Sprache, aber ich kam aus einer vollkommen anderen Kultur, hatte andere Dinge gesehen und bin anders aufgewachsen, aber das ist doch eigentlich etwas Schönes. Am Anfang war es nicht einfach, aber schließlich musste ich einsehen, dass ich nicht gegen meine Identität ankämpfen konnte, ich bin, wie ich bin, vielleicht etwas anders, aber so ist es eben.

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Du bist aber doch sehr flamenca, oder?

Ja, ich sehe mich schon so, ich liebe den Flamenco, aber ich lerne auch sehr viel, indem ich mir andere Dinge ansehe. Ich begann eigentlich als Musikerin, ich spielte Geige lange bevor ich zu tanzen begann, schon als Kind ging ich oft in die Oper oder zu Tanzaufführungen, es gibt so viel auf dieser Welt. Ich bin ja auch nicht jeden Tag gleich und auch das hilft mir zu suchen, zu forschen. Der Flamenco ist etwas sehr großes und in Wirklichkeit sehr offen.

Das stimmt, auf deinen Fotos zeigst du ja auch ganz verschiedene Gesichter. Ist das Absicht?

Nein, ich denke gar nicht so viel darüber nach, vieles passiert ganz natürlich und manchmal merke ich erst danach, was ich gemacht habe und ich sage „Wow!“, das ist ja ein Aspekt, den ich von mir gar nicht kannte. Der Tanz hilft mir, mich selbst besser kennen zu lernen.

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Wer hat dich denn künstlerisch am meisten geprägt?

Vor allem Andrés Marín. Ich sah ihn zum ersten mal In San Francisco, mit 16, er kam regelmäßig und als ich ihn sah, war ich sehr beeindruckt und neugierig. Ich verfolgte seine Karriere und als ich dann nach Sevilla kam, nahm ich bei ihm Unterricht, aber auch bei anderen, wie Israel Galván zum Beispiel.

Letzten Herbst ging dann ein Traum für mich in Erfüllung, als ich mit Andrés bei seinem Stück „Ad libitum“ in den USA auf der Bühne stehen durfte. Mit meinem Maestro, das war er und das wird er auch immer sein.

Andrés ist nicht ganz einfach, oder?

Er weiß ganz genau, was er will, er ist ein Perfektionist und er sagte mir schon ganz am Anfang „Ich werde nie zu dir sagen, dass du etwas sehr gut gemacht hast, damit du dich nicht entspannst und nachlässt“ und das hat mich natürlich manchmal geschmerzt, aber mit der Zeit habe ich es verstanden, er wollte, dass ich mich wirklich anstrenge und ich denke, er hat etwas in mir gesehen.

Er ist ein Mensch, der auf seinem Weg viele Mauern nieder brechen musste, mit seiner Kultur, seinem Künstlersein und seiner Art. Er ist als Mensch und als Künstler unglaublich mutig, aber er hat sich nie gefügt, er ging seinen Weg und hat seine ganz eigene Form gefunden.

Du bist ja auch eine ganz eigene Mischung

Ja, schon. Meine Mutter wurde in Armenien geboren und kam mit 20 Jahren in die USA, mein Vater ist zwar hier geboren, aber seine Mutter ist Italienerin und sein Vater Ire. Ich wurde in San Francisco geboren, aber ich ging auf eine armenische Schule, lernte armenisch sprechen und schreiben und zuhause oder bei meinen Großeltern gab es armenisches Essen, armenische Traditionen und armenische Musik. Bei meinen anderen Großeltern wurde italienisch gekocht und mein Großvater väterlicherseits war Ire durch und durch. Und am Ende bin ich dann nach Spanien gegangen, als Emigrantin, wie meine Mutter und ich sah mich in einer ähnlichen Situation wie sie, ich war allein und musste mich fragen, wer ich eigentlich bin.

Schlägt sich diese Mischung auch in deinen Stücken nieder?

Ja, aber das ist nicht gewollt, das ist eigentlich ganz natürlich so wie bei „Translúcido“. Ana ist Französin mit afrikanischen Wurzeln, Carlos Carbonell kommt aus einer Familie von Cantaores in Cádiz und Cristian spielt ja auch nicht nur Flamencopiano, man sieht sozusagen die Persönlichkeit, die Vergangenheit und die Wurzeln von jedem einzelnen, verbunden durch den Flamenco.

Wolltest du eigentlich nicht mehr Musiker haben und mehr Instrumente?

Ja klar, ich wollte eine ganze Band, aber das war durch das knappe Budget nicht möglich und mit Cristian habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, er spielt E- Piano aber er ist auch ein sehr guter Sänger. Außerdem finde ich, dass weniger manchmal mehr ist, wenn du nicht die musikalische Unterstützung einer Gruppe hast, bist du nackter und du musst mehr von dir zeigen, mehr in dir selbst suchen.

Gibt es etwas, das du bereust oder anders machen würdest?

Nein, da ist nichts. Auf meinem Weg zur Tänzerin habe ich mich selbst gefunden. Ich war früher sehr schüchtern, introvertiert und ängstlich, erst die Kunst hat mir gezeigt, dass ich eigentlich gar nicht so bin, der Weg war nicht einfach, ich war oft sehr allein, weit weg von meiner Heimat und von meiner Familie und um meinen Traum zu verwirklichen musste ich viele Hindernisse überwinden und das ist nicht immer angenehm, aber durch diese Dinge bin ich gewachsen und zu der geworden, die ich heute bin. Und darum bin ich dankbar für alles, was ich habe und ich kann sagen: Nein, ich bereue nichts.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

https://vimeo.com/102049596

La Charla / The Conversation es una obra donde cuatro artistas de distintas disciplinas del flamenco dialogan alternativamente expresando sus ideas o afectos sin seguir una planificación. Se establece una Charla a través del lenguaje del flamenco y la música clásica, donde los cuatro components del grupo comparten sus inquietudes artísticas. Demuestran que la pureza en el flamenco existe solo metafóricamente, siendo uno sincero y profundo. Para ello los tres inmigrantes y un gaditano irán en busca de su origen e intentan que su identidad como artista no sea un mero espejismo. La Charla es una obra teatral que fusiona el flamenco, la danza y la música clásica.