Melchora Ortega heißt eigentlich Inmaculada Ortega, aber heute ist sie für alle La Melchora. Die Ehre, nur mit dem Vornamen genannt zu werden und jeder weiß, wer damit gemeint ist, ist nur jenen vorbehalten, die wirklich etwas Besonderes sind. In ihr zeigt sich Jerez de la Frontera von seiner besten Seite. Sie verkörpert diese Stadt wie nur wenige und das nicht nur in ihrem Cante: sie ist schön – und da sprechen wir nicht nur von ihrer unglaublichen Haarpracht -, sie ist liebenswürdig, temperamentvoll und lustig. Eine Person, die man bei jeder Juerga gerne dabei hätte. Ich traf sie beim Flamencofestival in Luxemburg und bat sie zum Interview.

Woher kommst du, Melchora?

Ich komme aus Jerez, aus keiner Künstlerfamilie, aber schon als ich noch ganz klein war, begann ich zu singen und zu tanzen. Nachdem ich so anders war, sagten meine Geschwister, man hätte mich wohl auf dem Müll gefunden, eine Frage, die mich lange beschäftigte. Und das, obwohl mein Vater ganz gut singen konnte und meine Mutter tanzte.

Und deine Geschwister?

Ich habe zwei Brüder, aber sie machen nichts von alldem, sie halten nicht einmal den Compás! Und das, obwohl sie auch in Jerez aufgewachsen sind und genauso erzogen wurden. Aber ich sang schon mit drei Jahren die Lieder von Lole Montoya, selbst die auf arabisch, es war, als ob die Musik in meinen Körper eindringen würde. Meine Brüder hörten die gleiche Musik, aber sie konnten sie nicht reproduzieren.

Bei dir zuhause wurde also viel gesungen, oder?

Ja, klar! Mein Vater und meine Mutter sangen gern, mein Vater Flamenco, besonders die Cantes von Chocolate und Terremoto, meine Mutter eher die Lieder von Las Grecas und Bambino.

Wo hast Du denn die Kindheit verbracht?

In einem Viertel in der Nähe von Santiago, wo viele Gitanos lebten, auch die Kinder in der Schule, das Singen und Tanzen war unsere Art zu spielen.

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Heute lebst du ja in Santiago.

Nach der Schule gab es für uns nur zwei Möglichkeiten, entweder du studierst weiter oder du gehst putzen. Ich begann im Haus eines Arztes in Santiago zu arbeiten, aber nebenbei begann ich schon professionell zu singen, mit Niño Jero und ich liebte das Leben in Santiago.

Als ich begann mit David auszugehen und wir daran dachten zusammenzuziehen, wollte David nach San Miguel, in die Plazuela. Seine Mutter hatte dort lange gelebt, im Corral de San Antón, zwei seiner Brüder sind dort geboren, bevor sie ins Viertel La Granja zogen. David und Alfredo sind dort geboren und noch ein anderer Bruder, der leider schon gestorben ist.

Aber für mich war San Miguel wie ein anderer Planet und ich wollte zurück nach Santiago, weil dort mein künstlerisches Leben begonnen hatte. Dort lebten auch viele meiner Freunde und es war in der Nähe meiner Mutter, die sich um die Kinder kümmerte, wenn ich nicht da war.

Also zogen wir nach Santiago in die Calle Merced und ich liebe es. Als die Kinder klein waren gab es da unglaubliche Fiestas und ich konnte nicht hin, weil ich bei den Kindern bleiben musste, die Peña von Diego Carrasco war gegenüber und gleich daneben die Peña Tío José de Paula, und jeden Tag konnte ich so den besten Cante hören. Heute gehe ich immer runter, wenn etwas los ist und es gibt wunderbare Feste, zu Weihnachten oder in der Semana Santa und irgendwie habe ich das Gefühl, als wäre ich immer schon da gewesen.

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Als David in der Kompanie von Cristina Hoyos arbeitete versuchte sie uns immer zu überreden nach Sevilla zu ziehen, weil es dort mehr Arbeit gäbe, aber Sevilla ist mir viel zu groß, du brauchst für alles ein Auto. In Jerez machst du alle Wege zu Fuß, Jerez ist gar nicht so klein, aber es hat seinen Dorfcharakter behalten. Das Leben hier ist auch viel billiger, außerdem ist es nicht weit zum Strand und noch vieles mehr.

Welche Rolle spielte Jerez in deinem Leben als Künstlerin?

Eine große! Jerez hat mich zu der Cantaora gemacht, die ich jetzt bin. Jerez hat ja den Ruf, dass da immer alles gleich ist und sich nichts verändert, aber das stimmt nicht. Du musst das, was da ist einfach nützen um als Künstler zu wachsen. Diese Wurzeln und Traditionen. Du musst es als Glück ansehen, dass du diese Feste erleben durftest, diese Hochzeiten, ich habe da so viel gelernt! Vielleicht lernt man das erst schätzen, wenn man weggeht, das kann das beste Festival nicht ersetzen, diese Feste!

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Als du begonnen hast professionell zu singen war ja alles noch ganz anders …

Mein Vater wollte nicht, dass ich singe, weil ich so jung war und ein Mädchen und das Leben in der Nacht war unsicher, also wollte er mich immer begleiten und auf mich aufpassen. Aber ich ging meistens mit Periquín, der hatte so etwas wie eine Band und wenn er jemanden brauchte für eine Hochzeit oder eine Verbena, die gab es damals in der ganzen Stadt, in allen Vierteln, dann holte er mich. Damals gab es unglaublich viel Arbeit für uns alle.

Aber eigentlich wollte ich mehr. Und dann lernte ich María Bermúdez kennen, eine mexikanisch-amerikanische Tänzerin und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: wenn jemand, der so weit weg lebt, sein Land verlässt, alles aufgibt um sich dem Flamenco zu widmen, dann muss es doch etwas besonderes sein. Und ich lebe hier und nütze es nicht?

Also begann ich mich wirklich mit dem Cante zu beschäftigen, ich wollte mehr singen als Tangos und Bulería. Damals war es ja nicht so einfach wie heute mit dem Internet, ich musste sparen um mir eine Platte kaufen zu können. Ich ging ins Centro Andaluz de Flamenco und begann die verschiedenen Cantes zu studieren, um eine Soleá von der anderen unterscheiden zu können aber vor allem um sie nach zu singen.

Und dann begegnete ich Alfredo Benítez, dem Vater von Ezequiel, und das war für mich ein großes Geschenk. Er war für mich ein Lehrer, der einfach alles wusste. Aber nicht weil er so fleißig studierte, nein, er hatte so etwas wie einen sechsten Sinn, er hatte eine Gabe, eine Fähigkeit zu verstehen, außerdem hatte er schon als Kind Dinge erlebt und gesehen im Flamenco, die es heute nicht mehr gibt und als das hat er mir vermittelt. Er nahm mich bei der Hand und zeigte mir den Weg. Er gab mir das Werkzeug, das ich brauchte. Er half mir ein Repertoire aufzubauen, damit ich bereit war, wenn mich jemand engagieren wollte.

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Du hast viel von ihm gelernt …

Er war seiner Zeit um so viel voraus, das war bevor es das Internet gab und wenn es schon existierte, dann kannten wir es nicht, aber er wusste einfach, was zu tun war und wie. Was man brauchte um ein Publikum zu erreichen oder es zu gewinnen, die Fotos und so weiter, wir schickten sogar Weihnachtskarten an die Peñas, es hat uns schon einiges gekostet um nur an die Adressen zu kommen! Aber er hat uns vor allem gezeigt, dass es einerseits harte Arbeit ist, aber auch, dass es wichtig ist an uns als Künstler zu glauben.

Wie hast du denn deinen Mann David Lagos kennen gelernt?

Eigentlich habe ich zuerst Alfredo Lagos kennen gelernt, der suchte eine Sängerin für seine Gruppe für die Zambombas, er hat mich engagiert und da lernte ich dann David kennen und am Anfang waren wir nur Freunde. Später begannen wir dann miteinander auszugehen, David ging für sechs Monate nach Japan und ich sagte zu ihm – Sechs Monate sind eine lange Zeit, wir reden, wenn du zurückkommst und bis dahin sind wir frei. Als er dann zurückkam, verlobten wir uns und hier sind wir.

Nun seid ihr ja schon lange verheiratet, ihr habt drei gemeinsame Kinder, wie schafft ihr das denn mit eurem Künstlerleben zu vereinen?

Wir haben drei Kinder, die altersmäßig ziemlich weit auseinander sind und am Anfang war es nicht einfach. Nach seiner Zeit in Japan stieg David in die Kompanie von Cristina Hoyos ein, ich hatte gerade einen Preis gewonnen und bereitete mich auf den Wettbewerb in Mairena vor. Gott sei Dank war da meine Mutter, sie unterstützte uns, zuerst mit dem Jungen und dann auch mit dem unserer Tochter, wir arbeiteten sehr viel und konnten es uns auch nicht leisten nein zu sagen. Eigentlich wollte ich ja, dass David mein Palmero wäre, aber das war ihm dann doch zu viel.

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War das nicht schwierig mit den Kindern, alles unter einen Hut zu bekommen?

Als meine Mutter dann krank wurde und sie uns nicht mehr helfen konnte, haben wir uns einfach abgesprochen und das funktioniert eigentlich sehr gut. Nur mehr unsere jüngste Tochter, sie ist elf Jahre alt, wohnt bei uns, die Ältere beendet gerade ihr Studium und Dani ist auch schon unabhängig.

David und ich teilen uns die Hausarbeit auf und wenn ich arbeiten muss, kümmert er sich um alles. Er unterstützt mich auch bei dem ganzen Papierkram oder der Präsenz in den sozialen Medien, er lässt mich ausschlafen, wenn ich am Vorabend gearbeitet habe. Das gleiche tue ich natürlich auch für ihn und manchmal sage ich ihm, dass er sich nicht jedes mal Applaus erwarten kann für das, was er tut, aber ich weiß natürlich von anderen Kolleginnen, dass nicht alle Männer so sind.

Das hat sehr viel mit dem Respekt zu tun, den wir füreinander empfinden, aber wir haben uns auch Grenzen gesetzt für die Zeiten in denen wir unterwegs sein können und wenn das nicht möglich ist, fahren wir gemeinsam.

Ihr tretet ja auch gemeinsam auf, so wie beim Festival in Luxemburg

Ja, wir arbeiten auch gern zusammen, aber wir zeigen zwei verschiedene Formen des Cante de Jerez, das funktioniert sehr gut.

Und was sind deine aktuellen Pläne?

Im Moment läuft es für mich großartig, das nächste Projekt ist die Feria del libro in Madrid mit Cristina Cruces und Javier Ibáñez, ein Konzert, das Lola Flores gewidmet ist, dann gebe ich mit David einen Kurs,außerdem bereite ich mein Stück Memoleando vor. Ich bin auch eingeladen bi den Noches de Bohemia in Jerez, wo ich mit verschiedenen Künstlern arbeiten werde und David als Gast, dann gehen wir nach Bilbao mit Leonor Leal und Clásico Personal und im Herbst mache ich ein Stück mit Chiquelo, Perrate und Sängern aus Pakistan …

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Es geht mir wirklich sehr gut, ich fühle mich sehr frei, und will zeigen, was ich kann, der Flamenco ist eine wunderbare Kunst und er lässt mich wachsen, es ist nicht leicht, Künstlerin zu sein, aber ich bin bereit.

Titelbild: Lidiamar

Text: Susanne Zellinger