Die CD Lo Cortés no quita lo Gallardo ist das kürzlich erschienene, gemeinsame Projekt des international arrivierten spanisch-klassischen Gitarristen José María Gallardo del Rey und des in Flamencokreisen hochgeschätzten Flamencogitarristen Miguel Ángel Cortés. Der Titel ist eine Anspielung auf das spanische Sprichwort „Lo cortés no quita lo valiente“, was übertragen ungefähr bedeutet, dass höflich- bescheidenes Auftreten nicht den Schluss auf mangelnden Mut oder Stärke zulässt. Und diese, sich durch die Namen der Künstler zufällig ergebende Assoziation, spiegelt auch die Auseinandersetzung zweier musikalischer Welten wider, der klassischen Gitarre und der Flamencogitarre.

Zwei Welten: Flamencogitarre und klassische Gitarre

Die Flamencogitarre hatte im musikalisch-akademischen Leben Spaniens lange keinen Platz und wurde von vielen klassischen Gitarristen als lustig-lebhafte, letztlich aber nicht ernstzunehmende Kunst belächelt. In einer gewissen musikalischen Engstirnigkeit, die leider lange den klassischen Musikbetrieb begleitete, erkannten diese Gitarristen oft nicht, wie bereichernd Grenzüberschreitungen zwischen diesen beiden Musikrichtungen sein können. Als ich mich im Zuge eines Auslandsstipendiums der Aufnahmeprüfung am Madrider Konservatorium unterzog und danach kundtat, ich würde privat auch die Flamencogitarre studieren, war die Antwort meines Professors: „Te vas a meter en un lío“ -da kommst du in einen Wirbel hinein.
Zurückgekommen in Wien, wurde bei meiner öffentlichen Diplomprüfung eine von mir gespielte Soleá von Gerardo Núñez aus der Wertung genommen, da es sich um kein klassisch-spanisches Stück handelte.

Keine scheinbaren Widersprüche

Von solchen Eitelkeiten und scheinbaren Widersprüchlichkeiten lassen sich die beiden Künstler der vorliegenden CD zum Glück nicht beeindrucken. Und dass sogenannte Cross Over Projekte auch in diesem musikalischen Segment künstlerisch äußerst befruchtend wirken, hat nicht zuletzt Paco de Lucía mehrmals mit Erfolg bewiesen.
Bis auf eine Nummer sind alle Titel dieser Aufnahme Eigenkompositionen, einzelne Themen finden sich schon in früheren Aufnahmen und wurden zum Zwecke dieser Zusammenarbeit neu adaptiert, bzw. mit anderen Themen kombiniert, wie das ja eigentlich auch dem Prinzip der Flamencomusik entspricht. Dass für José María Gallardo, der sich als klassischer Gitarrist auch durch musikalische Grenzüberschreitungen zur Jazzmusik einen Namen machte, Flamencorhythmen nichts Neues sind, ist auch auf seiner CD „Maestranza“ zu hören. Sie ist eine Live-Aufnahme anässlich der zehnten Flamenco-Biennale in Sevilla, mit dem gleichnamigen, von ihm geleiteten Kammerorchester. Teile des darin enthaltenen Stückes „Fuego“, das auf einer Bulería basiert, finden sich nun in der Nummer 4 dieser CD, die dreiteilig aus Preludium, Fuego und Plaza besteht.

Der aus Granada stammende Miguel Ángel Cortés ist vor allem als Gesangsbegleiter schillernder Flamencofiguren wie Esperanza Fernandez bekannt, die auf dieser CD auch mit einer schönen Nana, einem spanischen Wiegenlied, zu hören ist. Er arbeitete aber auch u.a. mit Carmen Linares und Arcángel zusammen. In seinen beiden Solo-CDs, „Patriarca“ und „Bordón de Trapo“ ist diese künstlerische Provenienz auch deutlich spürbar, sie zeichnen sich durch eine schöne, bisweilen einfach gehaltene aber auf das Essentielle konzentrierte melodische Linienführung aus, was ihm bei diesem Projekt nun wiederum zugute kam.

Auskomponierte Gitarrenduos – klassisch und doch im Flamencostil

Diese melodische Linienführung ist auch bei allen Nummern dieser CD sehr gut gelungen, und obwohl fast alle Titel auf Flamencostilen beruhen, wirken sie doch wie auskomponierte, klassische Gitarrenduos spanischen Stils. Als Paco de Lucía das Concierto de Aranjuez von Joaquín Rodrigo aufnahm, sprach er den Unterschied zwischen einem klassischen und einem Flamencogitarristen an und betonte, dass für einen Klassiker die Tongebung einer einzelnen Note oft von so großer Bedeutung sei, dass er den Gesamteindruck dabei etwas vernachlässige, wohingegen der Flamencogitarrist ein paar „krachende Töne“ in Kauf nimmt, dafür aber die Nummer „in Fahrt hält“. Dieser Balanceakt zwischen letztlich auch zwei verschiedenen Lebenswelten gelingt den beiden Künstlern auf dieser CD außerordentlich gut.
Die einzelnen Gitarrenstimmen heben sich bei den zumeist sehr lyrisch gehaltenen Nummern gut voneinander ab und verschränken sich gleichzeitig, was schon beim ersten Stück „Del Sacromonte al Porvenir“, einer Guajira, äußerst positiv ins Auge, oder besser gesagt, ins Gehör, springt. Zwei Bulerías und ein Tangos sowie ein kurzer, aber schöner Taranto vervollständigen das Programm, natürlich gibt es auch klassische Formen wie Preludio und Adagio. Das letzte, mit der übrigen CD stark kontrastierende Stück ist ein fulminanter Tangos/Rumba und der historischen Flamencosängerlegende Silverio Franconetti gewidmet. Die Flamencostile sind durch die sehr klassisch gehaltenen Arrangements und individuellen Melodieführungen zum Teil erst bei genauerem Hineinhören aufspürbar. Doch auch das ist ein Qualitätsmerkmal dieser CD. Man muss sie schlicht und einfach öfter hören. Die Nummer 9, „Armargura“, stammt vom spanischen Komponisten der Wende zum 20. Jahrhundert, Manuel Font de Anta, und spiegelt die Erfahrung eines gewaltsamen Todes innerhalb der eigenen Familie wider, was vor allem in der „solemnen“ Einleitung zu hören ist.
Fazit: Hinsetzen, immer wieder anhören, genießen und entdecken.

Produziert: 2015
Produktion und Verkauf:
Naranjo Producciones, auch erhältlich u.a. bei deflamenco.com., RA 1652 2015,