Es passiert ja immer wieder: du siehst etwas, das du noch nie gesehen hast und dennoch ist es dir vertraut. In einem Kontext, der zuerst befremdlich erscheint und dann dennoch total plausibel erscheint. An einem Ort, der nicht zu passen scheint und sich dann als der ideale Rahmen erweist.

Dinge und Fakten tauchen vor deinem geistigen Auge auf, die du schon lange wusstest und dennoch ignoriert hast, oder ihnen zu wenig Beachtung schenktest.

Warum interessiert die Frage, aus welchem Grund die Japanerinnen so gerne Flamenco tanzen und es so viele Aficionadas gibt, so viele Menschen, die Frage hingegen, warum es so wenige schwarze Tänzerinnen gibt, wo doch die Wurzeln einiger Palos offensichtlich in Afrika und der Karibik liegen, niemanden?

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Aber auch hier gibt es natürlich ein gallisches Dorf, in dem Fall der Regisseur Miguel Ángel Rosales, der sich in seinem Dokumentarfilm „Gurumbe, canciones de tu memoria“ mit dieser Frage beschäftigte.

Immerhin war Spanien vom 14. Jahrhundert bis Anfang des 19. Jahrhunderts ein Zentrum des Sklavenhandels. West- und Binnenafrikaner wurden von Tausenden von Schiffen transportiert, die vom Golf von Guinea nach Cadiz und Sevilla fuhren, zwei Städte, in denen die Schwarzen zeitweise 10% der Bevölkerung erreichten.

Die englische und französische Romantik, fasziniert von der Kultur der Gitanos, beeinflusste in der Folge die Schaffung einer andalusischen Identität, bei der die Gitanos als ihre eigene und die Schwarzen als fremd angesehen wurden.

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Umso wichtiger und schöner, dass zwei schwarze Tänzerinnen den Weg auf europäische Bühnen finden, noch dazu mit einem großartigen Stück, das zuletzt beim Dinamiko Festival in Gelsenkirchen zu sehen war. Da ist zum einen Yinka Esi Graves, ihr Name kommt von den Yoruba, einem Volk aus Nigeria, ihr Vater ist Jamaikaner, ihre Mutter aus Ghana, sie wurde in London geboren, lebt in Sevilla und sie ist Bailaora.

Die zweite Tänzerin ist Asha Thomas, sie stammt aus Atlanta, Georgia mit seinen Erinnerungen an „Gone with the wind“, sie wollte immer schon Tänzerin werden, absolvierte die Juillard School in New York City und wurde nach ihrem Abschluss Mitglied des Alvin Ailey American Dance Theater, wo sie acht Jahre lang Solotänzerin war.

Ihre Begegnungen auf der Bühne sind von seltener Schönheit, Begegnungen, die einerseits Momente aus der Vergangenheit hervorrufen, aus der Hitze Atlantas und seiner Plantagenvergangenheit, aber sie sind auch in der Gegenwart, in der die Hautfarbe keine Rolle spielt und der Flamenco und der Contemporary Dance keinen Widerspruch darstellen.

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Bei ihren Klatschspielen – heute heißt das Bodypercussion – werden sie zu kleinen Mädchen, aber natürlich ‚Por Tangos’, wenn sie die Bata auf die Schultern nehmen reihen sie sich ein in eine Prozession in New Orleans und wenn Asha Yinka die Jungfrauenkrone aufsetzt, nähern sie sich der Semana Santa in Sevilla und in der Petenera und der Soleá kommen sie dann schließlich in Andalusien an.

Sie sind beide sehr ausdrucksstarke Tänzerinnen, die keine Masken brauchen, sie sind auf der Suche und noch lange nicht am Ende. Die Musik von Guillermo Guillén, ob auf der Gitarre oder aus der Box begleitet sie in jedem Moment, sensibel aber präsent, nicht zu vergessen natürlich auch die Guajira vom Band von Rocío Márquez. Ein denkwürdiger Abend in einem der schönsten Renaissanceschlösser Westfalens – um Fortsetzung wird gebeten …

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Yinka Esi Graves, Asha Thomas „CLAY“

Dinamiko Festival Gelsenkirchen

Schloss Horst, 12.05.2019

Fotos: Caroline Windus