Manche Dinge fallen mir erst auf, wenn ich darüber schreibe, wie zum Beispiel, dass wir im Deutschen, wenn wir über berühmte Persönlichkeiten sprechen, die wir alle kennen, ihren Nachnamen verwenden und davor den bestimmte Artikel setzen, wie zum Beispiel die Callas, die Schneider, die Merkel, der Bernhard und so weiter, im Flamenco nennt man sie hingegen beim Vornamen, wie Paco, Mario, Israel und eben Rocío.

Nun, bei dieser Bienal waren sie beide da: Rocío und die Molina.

Rocío entzückte das Publikum beim Konzert des großen Rafael Rodríguez „El Cabeza“ in der Sala Turina mit ihrer Guajira aus dem Stück „Oro viejo“, ihr preisgekröntes Stück aus dem Jahr 2008, als sie noch Rocío war und sich eine gewisse Verspieltheit erlauben konnte, ein Augenzwinkern, eine gewisse Zärtlichkeit, gemischt mit der für sie typischen Neugier, die in jedem Moment zu sagen schien „Jetzt machen wir einmal das, mal schauen, was dann passiert“ und wenn dann was passierte, trug sie das mit Fassung, Kritiken zum Beispiel, die ihr vorwarfen, sich nur so weit vom Flamenco wegzubewegen, weil ihr langweilig sei.

Damals war sie mit ihren 24 Jahren gerade dabei den Flamenco zu revolutionieren und man nannte sie und Israel Galván in einem Atemzug.

Grito pelao · Rocío Molina & Silvia Pérez Cruz © Óscar Romero · 003

Ihr Tanz hatte eine gewisse Unschuld und man glaubte ihr, dass ihr Körper und ihr unruhiger Geist es von ihr verlangten, sich ohne Rettungsboot in stürmische See zu wagen. Unbeirrt ging sie ihren Weg, bestens begleitet von Künstlern, die ihre Stücke bereicherten, wie Rosario La Tremendita oder Eduardo Guerrero. Es folgten „Afectos“, „Danzaora y Vinática“, das Meisterwerk „Bosque Ardora“ und dann kam „Caída del Cielo“, mit dem sie ja noch immer unterwegs ist, im nächsten Frühling auch in deutschen Landen.

Mit Sicherheit ihr bisher gewagtestes Stück, sehr persönlich und intim, aber dennoch auch lustig, mutig und mit diesem Augenzwinkern. In den Social Media wurde sie in Einzelteile zerlegt, besonders von MMM, ein Kritiker, gegen den schon Paco de Lucía eine Petition unterschrieben hatte wegen seiner bösartigen Kritiken.

Grund für seine verletzenden Attacken waren diesmal die 10 Sekunden, in denen Rocío Molina nackt auf der Bühne stand.

Irgend etwas hat sich seither verändert und ihr neues Stück „Grito Pelao“, das bei der Bienal Premiere hatte hat so einen kleinen Touch von „Jetzt erst recht“, vor allem in den 10 Minuten in denen sie ausgiebig im nackt im Pool badet, aber das allein ist es nicht. Im 7. Monat schwanger klärte sie über künstliche Befruchtung, alleinerziehende Mütter und ihre Beziehung zu ihrer Mutter auf, die mit Silvia Pérez Cruz und Rocío auf der Bühne stand. Die Molina hat ihre Unschuld verloren, könnte man sagen und das tut mir irgendwie leid.

„Grito Pelao“ hat ja ein Ablaufdatum, denn wenn das Kind geboren ist – Lola Molina – wird sie heißen, dann kommt es ins Archiv. Einerseits schade, aber am Flamenco mögen wir ja auch seine Vergänglichkeit.

Fotos: Óscar Romero